Der Sohn des Kreuzfahrers
fassen zu bekommen und herunterzureißen.
»Gebt Frieden!«
Trotz des Lärms der Menge war der Ruf nicht zu überhören. Der Rufer mußte ihn jedoch noch zweimal wiederholen, bevor er Wirkung zeigte, und bis dahin wußte jedermann auf der Mole - einschließlich Murdo -, daß jemand von unangefochtener Autorität eingetroffen sein mußte.
»Im Namen Gottes befehle ich euch: Beendet dieses unwürdige Schauspiel auf der Stelle!« Die Stimme klang tief, und sie war laut genug, um von einem Ende der Mole zum anderen gehört zu werden.
Der strenge Tadel des Fremden beruhigte die Menge. Als Murdo den Kopf drehte, sah er, wie die Menge für einen großen Mann auf einem Schlachtroß eine Gasse freimachte. Ein halbes Dutzend oder mehr Ritter begleiteten den Mann, und alle hatten sie die Schwerter gezogen und die Schilde angelegt.
»Ihr da auf dem Boot!« rief der Mann. »Laßt ihn los, und haltet euch zurück, oder ihr werdet euch für euren Ungehorsam vor mir verantworten müssen.«
Die Männer reagierten sofort auf den Befehl des Fremden. Sehr zu Murdos Erleichterung wurde er wieder aufs Deck hinuntergelassen.
»Tretet weg von ihm«, befahl der große Mann, und auch diesmal gehorchten die beiden widerwillig.
Murdo richtete sich auf und blickte in die klugen Augen von Fürst Bohemund.
Der Fürst saß gelassen in seinem Sattel und musterte Murdo. »Gott schütze dich, mein Freund«, sagte er. »Ich glaube, wir kennen einander, habe ich nicht recht?«
»Ja, mein Herr«, antwortete Murdo. »Wir haben uns gestern vor den Mauern getroffen.«
»Es scheint, als hättest du den Zorn der guten Leute von Jaffa erregt - und das, obwohl die Sonne gerade erst aufgegangen ist. Ich würde gerne erfahren, wie du diese schier unglaubliche Leistung zustande gebracht hast.«
»Das ist rasch erzählt«, erwiderte Murdo. »Ich habe die heilige Lanze, und sie«, er deutete auf Balduins Ritter, »wollen sie mir mit Gewalt abnehmen.«
»Tatsächlich!« rief Bohemund. »Ich muß gestehen, deine Geschichte beeindruckt mich. Ich würde sie gerne ganz hören. Bitte, fahr fort.«
»Das werde ich, Herr, und zwar mit Freuden«, entgegnete Mur-do. »Gebt mir nur genügend Raum und Zeit, und ich werde Euch alles erzählen, was Ihr zu hören wünscht, und wenn ich fertig bin, werdet Ihr mich keinen Dieb mehr nennen.«
»Du sprichst gut für dich selbst«, erwiderte der Graf von Antio-chia. »Du erinnerst mich an einen gewissen Edelmann, der sich in den vergangenen Wochen meinen höchsten Respekt verdient hat. Kann es sein, daß ihr beide verwandt seid?«
»Das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich, Herr«, antwortete
Murdo. »Es gibt nur wenige Pilger von den Inseln des Nordens und noch weniger von Orkneyjar.«
»Aber er ist der König der Inseln des Nordens«, erklärte Bohemund. »Ich spreche von meinem Vasallen, König Magnus. Kennst du ihn?«
»Ich kenne ihn - das heißt: Ich bin mit einigen seiner Männer auf Pilgerfahrt gegangen«, antwortete Murdo.
Eine Bewegung ging durch die Ritter hinter Bohemund, und die vertraute Gestalt von König Magnus erschien zwischen den Männern. Hinter ihm entdeckte Murdo die rundliche Gestalt von Bruder Emlyn, der verzweifelt versuchte, sich durch die dichtgedrängte Menge zu quetschen.
»Heia!« rief Magnus zum Gruß. »Was haben wir denn hier?«
»Dieser Mann sagt, er sei auf einem Eurer Schiffe ins Heilige Land gekommen. Kennt Ihr ihn?«
Magnus legte den Kopf zur Seite und musterte Murdo einen Augenblick lang. »Er kommt mir bekannt vor. Wenn er sagt, er sei mit mir gesegelt, dann nehme ich ihn beim Wort und zähle ihn zu den meinen.«
»Ich bin mit Jon Reißzahn gesegelt, Herr«, erklärte Murdo dem König. »Es war sein Schiff, das Eure Priester gebracht hat. Einer von ihnen hat mich nach Jaffa begleitet.« Murdo deutete in die Menge. »Er ist auch jetzt hier. Ihr könnt ihn fragen, wenn Ihr mir nicht glaubt.«
In diesem Augenblick mischte sich der vorderste von Balduins Rittern lautstark in die Unterhaltung ein. »Genug damit! Es gilt hier, ernste Dinge zu erledigen, und Ihr plappert wie alte Jungfern über einem Stück Kuchen!« Er deutete auf Murdo und fuhr fort: »Dieser Mann ist ein Lügner und ein Dieb. Er hat die heilige Lanze gestohlen, und ich werde dafür sorgen, daß sie wieder an ihren rechtmäßigen Platz gebracht wird.«
Bohemund betrachtete den Mann mit freundlichem Gesichtsausdruck. »Warum nennt Ihr ihn einen Lügner? Er hat aus freien Stücken gestanden, daß sich die
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