Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
Feindin den Heolin dann zurückgeben sollte.«
Darauf hatte Awin keine Antwort. Er fragte: »Warum hast du uns begleitet, wenn du doch wusstest, dass unser Weg falsch ist?«
»Ich wusste es nicht«, antwortete die Kariwa, drehte sich um und verschwand in der Dunkelheit.
Am späten Morgen erreichten sie endlich das Ende des Glutrückens. Vor ihnen tauchten Dattelpalmenhaine und Weizenfelder auf. Dann stießen sie auf einen Graben, der mit Wasser gefüllt war. Awin entdeckte hölzerne Vorrichtungen, mit denen das Wasser in kleinere Gräben umgeleitet werden konnte. Der Yaman hieß die Männer absitzen und sich um ihre Rüstungen kümmern. »Wir nähern uns der mächtigen Stadt Serkesch, Männer, und wir wollen zeigen, dass wir keine Bande von Dieben sind. Mewe, mein Freund, ich schlage vor, dass du vorausreitest und dem Herrn dieser Stadt unser Kommen meldest. Ich kann mir vorstellen, dass wir nicht sehr willkommen sind, doch werden sie keine Einwände haben, wenn nur einige von uns ihre Stadt betreten.«
»Wie viele werden das sein, ehrwürdiger Yaman?«, fragte der Jäger ungewohnt förmlich.
Der Yaman dachte einen Augenblick nach und ließ seinen Blick über die Reihen schweifen. Etwas stimmte nicht. Awin spürte, dass in Mewes Tonfall etwas lag, das auf eine Verstimmung hindeutete. War der Zwist der vergangenen Nacht so tiefgehend gewesen, dass er bis jetzt nachwirkte?
»Sag ihnen«, meinte der Yaman schließlich, »dass Yaman Aryak von den Schwarzen Hakul mit drei weiteren Männern die Stadt betreten will. Und sag ihnen ruhig, dass wir nicht mehr als zwanzig sind. Das wird sie beruhigen.«
Als sie ihre Pferde kurz darauf am Graben tränkten, fragte Merege: »Wieso ist hier niemand?«
Awin sah sich um. Das war eine berechtigte Frage. Sein Schecke fraß von den langen Weizenhalmen, und auch die Tiere der anderen Reiter hielten sich schadlos am Feld. Doch niemand erschien, um zu fragen, was da vor sich ging, oder gar, um sie zu vertreiben. Wirkten sie so furchteinflößend? Er konnte zwei weitere große Gehöfte und einige Hütten sehen - Dutzende von
Bauern mussten hier leben. Es gab viele Felder, und soweit er es wusste, mussten diese Felder ständig bearbeitet werden. Aber da war niemand. Tatsächlich wirkte das Land wie ausgestorben.
»Sie verstecken sich nur vor uns«, meinte Tuwin grinsend. »Die Akkesch sind furchtsam, und die Kydhier, die unter ihrer Knute leben, sind noch ängstlicher, und beide haben sie vor nichts mehr Angst als vor uns.«
»Aber ich habe keine warnenden Hornrufe gehört. Ich höre auch keine Menschen vor Angst schreien. Die Felder sind verlassen, aber sie sehen nicht aus, als seien die Bauern geflohen und hätten alles stehen und liegen lassen. Ich sehe auch kein herrenloses Vieh, ja, ich sehe überhaupt kein Vieh, weder Schaf noch Ziege. Es ist alles viel zu ruhig«, entgegnete Awin.
Der Schmied zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hast du Recht, junger Seher. Vielleicht sollten wir jemanden fragen. Ich bin sicher, sie verstecken sich in ihren Hütten.«
Aber der Yaman verbot ihnen, den Hof oder irgendeine Hütte zu betreten. »Sie leben in Furcht vor uns, ihr Krieger, und wir wollen sie nicht darin bestärken. Denkt daran, weswegen wir hier sind. Wir werden sie meiden, denn ich will nicht, dass ein unbedachtes Wort oder eine falsche Geste die alte Feindschaft weckt, die doch seit vielen Jahren schläft.«
»Dabei ruht sie nur, weil der große Heredhan Horket Eisen und Silber von den Akkesch nimmt«, brummte Tuwin missmutig, aber er achtete darauf, dass der Yaman ihn nicht hörte. Sie saßen wieder auf und ritten durch die Felder um einen letzten Ausläufer des Glutrückens herum. Es war hoher Sommer, Trockenmond, wie ihn die Hakul nannten. In der Heimat war das Gras der Steppe so ausgedörrt, dass es sich von Zeit zu Zeit sogar selbst entzündete. Manchmal versiegten die Bäche in dieser Zeit, und die Dürre quälte Mensch und Tier. Dann drängten sich die Hakul an den Ufern des Dhurys, und immer
wurde gestritten und manchmal sogar um Wasser gekämpft. Daran musste Awin denken, als sie unter den dichten Dattelhainen entlangritten und über Felder, auf denen sich der Weizen unter der Last der vollen Ähren bog. Auch hier war es heiß, und es gab sicher ebenso wenig Regen wie in Srorlendh, aber die Akkesch hatten Gräben angelegt, die ihre Felder bewässerten, und es sah nicht so aus, als würden sie sich um Wasser streiten müssen.
Er hatte nie verstanden, warum
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