Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
von ihrem Kampf in Uos Mund und wie sie den Heolin wiedergewonnen hatten. Er erwähnte beiläufig, wie Männer versucht hatten, ihm den Lichtstein wegzunehmen - und dabei plötzlich unsägliche Qualen erlitten hatten, denn er wollte verhindern, dass dieser fremde Yaman auf gefährliche Gedanken kam. Die Versammlung im Ahnental erwähnte er nur am Rande, schilderte aber ausführlich, welche Verwüstungen Slahan angerichtet hatte: »Sie hat viele Lager zerstört und Männer, Frauen und Kinder der Hakul getötet oder verschleppt, und dabei hat sie nicht auf die Farbe ihrer Mäntel geachtet. Wir hoffen, die Gefallene Göttin mit dem Lichtstein endgültig besiegen und die Gefangenen befreien zu können«, schloss Awin seinen Bericht ab. Er hatte vieles nur grob angerissen, manches vereinfacht und einiges ausgelassen. Sein Blick schweifte besorgt zurück zu seinem Sger. Er hoffte sehr, dass Harmin nicht die Geduld verlor.
Der Yaman sah ihn an. Das Erstaunen in seinen Augen war während Awins Bericht zusehends gewachsen. Jetzt schüttelte er den Kopf und sagte: »Wirklich, es ist schwer zu glauben, was du erzählst, Seher, und doch sehe ich den Heolin, den ich nur aus Geschichten kannte, und ich sah den Sturm, der unser Land verwüstete. Vieles verstehe ich noch nicht, und einiges hast du mir auch verschwiegen, wie ich wohl bemerkt habe, doch glaube ich dir. Kein Hakul könnte sich eine solche Lüge ausdenken, nicht einmal ein Seher. Du musst in deinem Stamm viel Ruhm erworben haben …« Gerwi hielt einen Augenblick inne, bevor er nachdenklich fortfuhr: »Umso mehr erstaunt es mich, dass sie einem so jungen Yaman diese gewaltige Aufgabe
anvertrauen - und noch mehr, dass sie ihm so wenige Männer mitgeben.«
Das war eine gefährliche Andeutung. Awin wich einer klaren Antwort aus: »Ich kenne die Gebräuche der Eisernen Hakul nicht sehr gut, Gerwi, doch bei uns kann es viele Tage dauern, bis der Dhanegedh zu einem Entschluss kommt. So lange konnte ich nicht warten. Außerdem kommt es in diesem Kampf wohl gar nicht auf die Zahl, sondern auf die Entschlossenheit der Krieger an.«
»Du bist sehr mutig«, sagte Gerwi, aber es klang, als würde er in Wahrheit »dumm« meinen. »Ich frage mich aber, wie ihr die Göttin einholen wollt, denn sie ist euch viele Tage voraus, und der Sturm ist doch immer schneller als ein Pferd.«
»Sie wird den Sturm anhalten, das habe ich gesehen, Yaman Gerwi. Sie wird in einer Festung der Viramatai auf uns warten, auch wenn ich dir nicht sagen kann, warum. Wir werden es vielleicht herausfinden, wenn wir dort sind.«
»Eine Festung der Männertöterinnen?«
»Ich habe sie im Traum gesehen und dem Mann eines Klans beschrieben, der das Land im Osten kennt. Er sagte mir, ihr Name sei Pursu.«
»Die Unbezwingbare? Jeder aus unserem Stamm kennt diese verfluchte Festung. Die Viramatai haben sie in das Land gebaut, das einst uns gehörte. Sie behaupten, es sei heiliger Boden, doch für uns ist sie nur ein schmerzender Stachel in unserem Fleisch. Wir haben sie oft belagert, aber noch nie eingenommen.«
»Ist es weit bis dahin?«, fragte Wela.
Der Yaman sah sie nachdenklich an. Vielleicht überlegte er, ob es unter seiner Würde war, einer Frau diese Frage zu beantworten. Schließlich antwortete er: »In sechs Tagen könnt ihr sie erreichen, doch nicht, wenn ihr weiter durch die Dhaud reitet.
Bald beginnt die Innere Dhaud, ein Land der Klüfte, Felsen und Geröllfelder. Es wäre eine Qual für euch und eure Pferde, wenn ihr versuchtet, der Verwüsterin auf diesem Weg zu folgen.«
»Aber wie sollen wir sie sonst finden, Yaman? Dieses Land ist uns fremd«, erklärte Awin bedächtig.
Gerwi sah ihn nachdenklich an. »Es gibt zwei Wege für euch, Yaman Awin«, begann er. »Ihr könnt euch südlich halten, bis ihr auf die Eisenstraße stoßt. Auf ihr kommt ihr schnell voran. Folgt ihr bis zur Oase Kaldhaik-Mat. Von dort haltet euch nordöstlich. Es führt ein Pfad der Viramatai zur Festung, den werdet ihr finden. Jedoch sollte ich euch warnen. Weder die Menschen in den Oasen noch die Viramatai werden sich freuen, Reiter der Hakul zu sehen. Es kann sein, dass ihr weder Wasser noch Obdach in den Siedlungen findet.«
Awin wusste, dass die Eisenstraße im Süden lag. An manchen Abenden hatten sie in der Ferne sogar Lichter von Oasenstädten gesehen. Er warf einen Seitenblick zu Wela. Er wusste, dass sie darauf brannte, wenigstens einmal in ihrem Leben eine Stadt zu besuchen, und doch hatte sie noch nicht
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