Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
reitet und was wir vorhaben.«
»Sie werden dennoch Verrat wittern.«
»Sicher werden sie das, Curru vor allem. Er wird versuchen, jedes erdenkliche Geheimnis aus Mabak herauszuquetschen, aber er wird feststellen, dass es keine Geheimnisse gibt.«
»Dann hoffe ich, dass sie sich die Zeit nehmen, ihn zu befragen. Es wäre schade um ihn, wenn sie ihn gleich töten«, gab Tuge zu bedenken.
»Er wird unter dem Zeichen des Unterhändlers reiten. Eri wird die heiligen Zweige achten.«
»Dann wollen wir hoffen, dass er das Zeichen auch sieht und nicht von vorübergehender Blindheit geschlagen ist«, brummte Tuge.
Awin nickte. Es wäre Unsinn, zu glauben, dass die Aufgaben, die er seinen Gefährten gab, ungefährlich waren. Ganz im
Gegenteil. Es war eine unsichere Zeit und gut möglich, dass die Anführer der drei Heere die Boten töten ließen und sich erst danach fragten, was ihr Anliegen gewesen sein mochte. Ein paar Birkenzweige waren ein unvollkommener Schutz, der in der Dunkelheit leicht übersehen werden konnte, vor allem, wenn man ihn nicht sehen wollte. Harmin kehrte unterdessen zurück, seinen Kriegshelm in der Hand. Und wie es Tuge vorausgesagt hatte, war er tödlich beleidigt, dass sie ohne ihn beraten hatten. Er hörte sich schweigend an, was beschlossen worden war, dann setzte er sich wortlos ans Feuer und starrte in die Flammen. Awin konnte es nicht ändern. Allerdings ergab sich daraus eine Schwierigkeit: Sie waren sich einig, dass der Lichtstein im Lager bleiben musste. Harmin konnte er ihn nun nicht anvertrauen. Eigentlich blieb nur Merege, aber Senis hatte davor gewarnt, ihr den Lichtstein zu überlassen, auch wenn sie keine Gründe genannt hatte.
»Ich werde ihn bewachen, aber den Stein nicht berühren, Awin, wenn es dich beruhigt«, sagte Merege. Wela verhüllte den Stein sorgsam, drückte Merege den Stab in die Hand und sagte: »Zerbrich ihn nicht.«
Merege nahm ihn mit einem kühlen Lächeln entgegen und wandte sich grußlos ab. Es dämmerte bereits, als die Boten ihre Pferde bestiegen. Jeder von ihnen nahm einige Birkenzweige mit, das Zeichen der Unterhändler. Wela warf einen zweifelnden Blick auf die kahlen Äste. »Ich hoffe, der Erfolg meines Rittes hängt nicht an diesen dürren Zweigen«, sagte sie.
»Nun, wir können ja nicht nur Frieden schließen, wenn es grünt«, meinte Tuge grimmig. Dann reichten sie einander die Hände, wendeten die Pferde und machten sich auf den Weg. Awin sah ihnen lange nach. Er fragte sich, ob er sie alle drei wohlbehalten wiedersehen würde, und er betete zu Tengwil, dass sie sie behüten möge.
Der kurze Wintertag ging jetzt schnell zu Ende. Die Hakul wollten Feuer machen, aber Awin verbot es. Es war ungewiss, was die Unterhändler erreichen würden, und vor allem Eri und Curru mochten auf den Gedanken kommen, dass sie keine Verhandlungen brauchten, um den Lichtstein wiederzugewinnen. Es war besser, sie wussten nicht, wo der Heolin zu finden war. Awin schärfte den Wachen noch einmal erhöhte Aufmerksamkeit ein, dann begab er sich zu dem Platz, den er für das Ritual der Reise ausgesucht hatte. Er befand sich etwas abseits des Lagers zwischen zwei großen Felsbrocken. Mahuk und Merege waren bei ihm, und einige Ussar sollten die Wache übernehmen, was Awin nicht recht war. »Dieser Ritus ist geheim, Mahuk, eine Sache für Seher«, sagte er, nicht zum ersten Mal.
»Ich weiß. Sie wenden sich ab. Ich habe es ihnen befohlen«, versicherte der Raschtar. »Und die Nacht ist dunkel. Voller Feinde.«
Awin wusste, dass der Raschtar recht hatte, und gab schließlich nach. Vielleicht schickte Curru wirklich einige verschwiegene Krieger anstelle einer Gesandtschaft. Es wäre ihm zuzutrauen. Awin atmete durch und versuchte, alle düsteren Gedanken zu verscheuchen. Die Abordnungen sollten um Mitternacht eintreffen - wenn sie denn kamen. Bis dahin musste er einige Antworten gefunden haben. Der Platz schien geeignet, denn die Felsen gaben Sichtschutz auf zwei Seiten. Die beiden anderen Seiten schirmten sie mit den Häuten ihrer Kriegszelte notdürftig ab. Er hatte weder die Bronzeschalen noch eine Kerze und schon gar nicht die Rabenbeere, die ihm seine erste Reise ermöglicht hatte, aber er wusste seit Uos Mund, dass er diese Dinge nicht unbedingt brauchte. Er sammelte sich, dann begann er, mit dem Schwert einen Kreis in den Boden zu ziehen. »Dies ist der Erdkreis, mein Geist wird ihn nicht
verlassen«, murmelte er. Mahuk stand plötzlich neben ihm und reichte ihm
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