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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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die er suchte, jetzt sehr nahe war.
    Die hochgewachsene Gestalt beugte sich zu Awin hinab und flüsterte: »Um deinesgleichen ein Ende zu bereiten. Und ich werde nicht um euch trauern, Mensch.« Dann richtete sie sich auf und rief: »Was willst du hier, alter Narr?«
    Das schien an jemanden hinter ihm gerichtet. Awin fuhr herum. Für einen winzigen Augenblick war ihm, als würde er in das feindselige Antlitz von Curru blicken. Dann fand er sich auf einer Wiese wieder. Frischer Wind zerrte an ihm, und die Luft schmeckte nach Salz. Brandung rauschte in seinen Ohren.
    »In was habt ihr uns da nur hineingezogen?«, sagte Senis leise. Sie saß auf der Erde, ihre langen Zöpfe schimmerten wie weiße Schlangen im Gras. Ihr Blick war ins Leere gerichtet. Es war immer noch Nacht. Isparra und die Höhle waren verschwunden. Awin stand auf einer Wiese und hörte Wellenschlag. »Wo ist das Meer?«, fragte er verwirrt.
    »Dreh dich um, Seher«, antwortete die Kariwa.
    Awin gehorchte und fuhr erschrocken zurück. Er stand auf einer Klippe. Das Meer brandete wohl hundert Schritte unter ihm an weiße Felsen.
    Senis lachte leise. Awin wurde wütend. »Ich bin nicht hier, damit du mit mir spielst, Senis!«
    »Warum bist du dann hier, junger Seher?«, fragte Senis ernst. Ihr Gesicht verriet ihr Alter mit hunderten feinster Fältchen. Von irgendwoher schien der Mond darauf, aber Awin konnte ihn nicht sehen.
    »Du sagst, dass du uns nicht helfen kannst, aber ich bitte dich noch einmal um deine Hilfe. Wenn es mir nicht gegeben
ist, Slahan zu besiegen, dann bleibt nur deine Ahntochter. Doch wie soll sie die Göttin vernichten?«
    Senis erhob sich. »Das kann sie ebenso wenig wie du, Seher.«
    »Aber dann ist unser Kampf sinnlos!«, rief Awin aufgebracht.
    »Das habe ich nicht gesagt, Awin«, entgegnete Senis.
    Awin schüttelte den Kopf. Der Gleichmut der Kariwa war nicht zu fassen. Oder war es etwas anderes? Eine tief verborgene Verzweiflung?
    »Ich kann dir nicht sagen, was ihr tun müsst, Seher. Ich hoffe darauf, dass ihr es selbst herausfindet.«
    »Und wenn nicht?«, fragte Awin wütend.
    »Dann ist alles verloren«, sagte Senis sehr ruhig.
    »Hat Tengwil es denn so vorherbestimmt?«, fuhr Awin sie an.
    Senis ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Nein, Seher. Die Riesin beobachtet euch, und sie spinnt ihre Fäden in die Richtung, in die ihr euer Leben lenkt. Du kannst dich umdrehen, davongehen und alles vergessen. Tengwil wird es hinnehmen und deinen Faden in die neue Richtung spinnen. Oder du kannst tun, wozu du vor Wochen aufgebrochen bist. Es ist deine Entscheidung. Wenn ich mich aber zu sehr einmische, wird Tengwil vielleicht denken, dass ich jetzt deinen Faden spinne - und dann schneidet sie ihn ab.«
    »Das kann sie?«
    »Sie kann es.«
    »Aber kannst du mir wenigstens sagen, ob Gunwa, meine Schwester, noch lebt?«
    »Das musst du Tengwil fragen. Ich bin nicht allwissend, junger Seher.«
    »Du weißt so vieles, Senis. Gib uns doch wenigstens einen Hinweis, irgendetwas«, bat Awin.
    Die Kariwa sah ihn nachdenklich an. Es donnerte. War das
das Meer, das weit unter ihm gegen die Felsen brandete? Oder war es sein Herzschlag, der ihn zurückrief in die Welt?
    »Ihr müsst euch beeilen. Sie hat wirklich einen Ort der Alten Kraft gefunden und will auch den zweiten Fluch brechen, den Fahs einst über sie verhängt hat.«
    »Den zweiten Fluch?«, fragte Awin, und er begann zu verstehen. »Aber was sollen wir nur tun, ehrwürdige Senis?«
    »Schickt sie dorthin, wo sie unbedingt hinwill«, erwiderte Senis grimmig.
    »Wir sollen sie gehen lassen?«
    »Das waren nicht meine Worte, junger Seher. Die Alte Kraft … sie ist stark und den Göttern vorbehalten. Wenn Slahan bereits aus der Quelle schöpft, wird Merege Hilfe brauchen.« Senis stockte. Dann murmelte sie mit nach innen gekehrtem Blick: »Der zuverlässige und ungeliebte Freund … doch der wird nur erscheinen, wenn … nein. Sage meiner Ahntochter, dass die stärkste Quelle auch die gefährlichste ist. Sie soll sich in Acht nehmen, sehr in Acht nehmen und wohl überlegen, wen sie um Hilfe bittet. Entscheidend wird am Ende der sein, der geben und nehmen kann. Mehr kann ich nicht sagen, Awin. Nur eines noch - du musst bei ihr bleiben! Versprich mir das! Du darfst ihr bei dem, was vor euch liegt, nicht von der Seite weichen! Nun geh. Ich habe euch schon mehr geholfen, als ich sollte. Hoffen wir, dass Tengwil es uns nicht verübelt.« Senis wirkte mit einem Mal klein und

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