Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
geweckt worden war, schilderte ihren zerstörerischen Zug durch das Land der Hakul und enthüllte ihr eigentliches Ziel: »Sie sucht einen Weg nach Norden, an den Rand der Welt, denn sie will das Tor öffnen, das unsere Welt vor den Daimonen schützt. Doch Fahs’ Fluch hindert sie daran, offenes Wasser zu überqueren. Deshalb kam sie hierher. Sie vermutet in der Festung eine Quelle der göttlichen Alten Kraft, mit der sie den Fluch brechen will. Hat sie Erfolg, werden unsere Völker untergehen, und zwar alle, ohne Ausnahme, Hakul ebenso wie Viramatai. Deshalb bitte ich euch, eure Streitigkeiten zurückzustellen und mit uns gemeinsam gegen die Gefallene Göttin zu kämpfen.«
»Die Alte Kraft …«, sagte die Fürstrichterin nachdenklich.
»Es liegt nicht an uns, dass wir nicht in Frieden leben können«, behauptete Yaman Dheryak, als habe er Awin gar nicht zugehört. »Wir hätten gar keinen Streit, wenn die Männertöterinnen endlich das Land freigeben würden, das sie uns geraubt haben.«
»Die Hakul brauchen keine Feinde, um ihre Streitlust zu pflegen!«, zischte die Viramatai. »Wir werden euch unser Land
nicht überlassen. Die Ebene von Pursu ist uns heilig. Euch diente sie nur dazu, Raubzüge zu unseren Städten und Minen zu unternehmen. Ihr habt den gesegneten Grund mit euren Schandtaten entweiht.«
»Du solltest vorsichtig sein, hier stehen zwei Heere gegen eines, ehrwürdige Kalya«, fuhr Dheryak sie an.
»Auf uns solltest du nicht zählen, Hakul«, sagte Uredh kühl.
»Ha!«, jubelte die Prawani.
»Du allerdings auch nicht, Weib!«, hielt ihr Uredh entgegen.
Awin erhob sich und rief: »Im Namen des Heolins, hört auf mit diesen Zänkereien. Seid einig, nur für diese Nacht und den nächsten Tag. Danach könnt ihr euch nach Herzenslust an die Kehle gehen. Slahan wird sich freuen.«
Das schien Wirkung zu zeigen. Für einen Augenblick.
»Die Frage ist, mit welchem Recht du dich auf den Lichtstein berufst, Awin von den Schwarzen Dornen. Der Heolin gehört von Rechts wegen uns, den wahren Erben von Etys, und nicht dem schwachen Klan eines abtrünnigen Stammes«, rief Yaman Dheryak.
»Abtrünnig? Hüte deine Zunge, Hakul! Der Stein gehört seit alters her den Schwarzen Hakul«, rief Uredh laut.
»Euer Streit ist lächerlich«, sagte die Prawani mit Verachtung in der Stimme. »Wir kennen die Geschichten, nach denen einer eurer Fürsten diesen Stein Edhil geraubt hat. Ja, ich sage, geraubt! War er nicht einst Schmuck am Sonnenwagen unseres Vaters Edhil? Daher kann der Platz des heiligen Steines nur in einem unserer Tempel sein, nicht in irgendeinem feuchten Hakulgrab!«
Daraufhin folgten von den Hakul wütende Erwiderungen. Awin sah Mahuk Raschtar grinsen. Er flüsterte von Zeit zu Zeit mit seinem Stock und schien den Streit zu genießen.
Awin genoss ihn ganz und gar nicht. Er hatte die Unterhändler eine Weile streiten lassen, weil er das Gefühl hatte, dass er dem ganzen Hass und der Verachtung, die sich zwischen den Stämmen und Völkern aufgestaut hatten, freie Bahn lassen sollte. Er hatte damit gerechnet, dass sie sich irgendwann verausgabt haben würden, aber bald sah er ein, dass er sich irrte. Es schien, als könnte es noch Tage so weitergehen. Als der Streit für einen Augenblick dann doch abflaute, erhob er sich und fragte: »Warum seid ihr eigentlich in diese Ebene gezogen?«
Verblüfft starrten ihn die Vertreter der drei Heere an. »Was soll diese Frage?«, polterte Dheryak.
Plötzlich lächelte die Fürstrichterin. »Es ist eine gute Frage«, sagte sie.
»Das sehe ich nicht so«, meinte Uredh knapp.
Die Viramatai strich sich eine graue Haarsträhne aus dem hageren Gesicht und sagte: »Wir kamen her, weil wir von dieser seltsamen Gewalt hörten, die durch die Dhaud zog. Es sah lange so aus, als wolle sie unsere Städte überfallen, also rüsteten wir uns zum Kampf. Schließlich erfuhren wir, dass sie unsere Festung Pursu angegriffen und eingenommen hat. Wir kamen her, um gegen diese Macht zu kämpfen und die Festung zu befreien. Wir wussten nicht, dass die Hakul hier sein würden.«
Dheryak nickte. »Auch wir hörten schon vor vielen Tagen von dem Schrecken, der immer weiter nach Osten kam. Das Ross-Orakel riet uns, ihm entgegenzutreten, und sandte uns in diese Ebene. Hätten wir von den Viramatai gewusst, hätten wir noch mehr Krieger mitgebracht.«
»Und wir haben den Schrecken am eigenen Leib erlebt. Wir folgten ihm - und dem Lichtstein, der eigentlich in der Hand des Heredhans
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