Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Awin nutzte die Zeit, um die junge Brami über die Festung auszufragen, über die er noch so wenig wusste. In ihrer Nähe roch es nach Blumen, was Awin verwirrte, da er sich diesen angenehmen Duft nicht erklären konnte. Die Priesterin gab ihm bereitwillig Auskunft: »Unsere heiligen Schriften sagen, dass die Götter an diesem Ort die Welt zum ersten Mal betraten, um Edhils Schöpfung zu vollenden. Die Riesen haben den Ort zum Gedenken daran mit mächtigen Felsen eingehegt, doch wussten die Hakul nichts von der Heiligkeit des Ortes. Sie weideten ihre Schafe dort!« Sie schüttelte über so viel Unwissenheit den Kopf und erzählte, wie die Viramatai den Ort erobert, gereinigt und zu einem Tempel geweiht hatten. »Die Felsen waren lange Zeit ohne Mauern, doch kehrten die Hakul zurück, und so mussten wir den Felsenhain in eine Festung verwandeln.
Ich kann verstehen, dass Xlifara Slahan dort Stärke sucht, denn jeder Mensch, der den heiligen Tempel betritt, kann die Kraft spüren, die die Götter uns dort hinterlassen haben.«
Awin fragte sie nach der Beschaffenheit des eigentlichen Tempels, denn er hielt es für gut möglich, dass sie genau dort die Göttin finden würden.
»Es ist kein Tempel, wie du ihn vielleicht von den Akkesch kennst, Hakul. Es ist ein offener Platz, mit weißen Steinen gepflastert. Er hat keinen Altar, und weder Dach noch Säule hindern Edhil daran, ihn zu betreten.«
Awin ging zurück zum Feuer. Senis hatte von dieser besonderen Alten Kraft gesprochen. Es schien sich zu bestätigen, doch wie mochte sie beschaffen sein? Das hatte ihm die Brami auch nicht sagen können.
»Was wollte dieses halbnackte Weib von dir?«, unterbrach Wela seinen Gedankengang.
Awin starrte sie an. »Sie ist eine Priesterin«, entgegnete er langsam.
»Aber sie sieht nicht aus wie eine«, schnaubte Wela. »Ich sollte dich warnen, Awin Sehersohn. Es gibt Frauen, die ihre Reize schamlos zum Erreichen ihrer Ziele einsetzen.«
»Aber die Brami wollte doch gar nichts von mir, es war umgekehrt.«
Wela bedachte diese ungeschickte Äußerung mit einem giftigen Blick und ließ ihn stehen. Awin zuckte mit den Achseln. Er hatte keine Zeit, herauszufinden, was Wela jetzt schon wieder umtrieb. Die Priesterin hatte nun wirklich nichts getan.
»Eine gute Frau. Yeku fürchtet sich vor ihrem Zorn«, sagte Mahuk beifällig. Awin hatte ihn gar nicht bemerkt.
»Hast du schon lange zugehört, ehrwürdiger Raschtar?«
»Yeku war neugierig«, erwiderte der Ussar mit ausdrucksloser Miene und zog sich zurück.
Bald darauf kehrten die ausgesandten Reiter wieder. Zu Awins Erleichterung stimmten die Heerführer dem Bündnis zu, selbst Eri. Sie beschworen das Abkommen mit feierlichen Eiden und gelobten den Göttern mit Opfern die Einhaltung des Waffenstillstandes. Dann entwickelten sie bis zum Morgengrauen die Einzelheiten ihres gefährlichen Vorhabens. Awin mahnte sie immer wieder, dass sie sich nicht auf einen ernsthaften Kampf mit den Kriegern Slahans einlassen sollten, hielt sich sonst aber zurück. Die anderen waren als Heerführer viel erfahrener und kamen endlich, unter manchen Streitigkeiten, zu einem gemeinsamen Schlachtplan. Sie legten fest, dass die Angriffe zur dritten Stunde nach dem Mittag beginnen sollten.
»Dann wollen wir hoffen, dass jeder Heerführer seine Aufgabe versteht und die anderen nicht im Stich lässt«, sagte die Fürstrichterin.
»Die Hakul vergessen nichts - weder neue Pläne noch alte Feindschaften«, erwiderte Yaman Dheryak finster.
Als die Abordnungen endlich aufgebrochen waren, um ihre Heere für die kommende Schlacht aufzustellen, fragte Tuge: »Und wie sollen wir uns auf diese Schlacht vorbereiten, Yaman?«
»Ich muss schlafen«, entgegnete Awin. »Und ich werde Tengwil noch einmal um einen erhellenden Traum bitten.«
Der Bogner grinste plötzlich breit. »Wir stehen vor einer großen Schlacht mit ungewissem Ausgang - und du begibst dich zur Ruhe? Ich glaube, selbst Yaman Aryak war seinen Kriegern kein größeres Vorbild in Sachen Kaltblütigkeit.«
Awin schüttelte den Kopf. »Ich bin einfach nur müde, Tuge. Und ich will nicht mitten im Kampf einschlafen.«
Aber Tuge beharrte darauf, dass es ein Zeichen unerschütterlichen Mutes sei, und so erzählte er es allen im Lager. Awin
fühlte sich nach den zähen Verhandlungen allerdings einfach nur leer und ausgebrannt. Er betete zu Tengwil, dass sie ihm einen weiteren Traum senden möge. Aber er schlief tief und fest, und kein Traum kam zu
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