Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
unwillkürlich vom Felsen zurück. Es war auf einmal totenstill.
»Er hat unseren Yaman verletzt!«, rief einer der Männer, die Eri immer noch festhielten. »Er stirbt«, rief ein anderer.
Aber da kam Brediak keuchend auf die Knie und hob schwach die Hand.
»Er wäre gestorben, wenn er ihn länger gehalten hätte«, rief Awin laut.
Die Hakul schwiegen betroffen, nur der eisige Wind schlug Awin ins Gesicht und ließ die Feuer flackern.
»Doch was sollen wir tun, Seher?«, rief ein Hakul endlich.
»Ihr solltet nie wieder versuchen, ihn uns wegzunehmen«, knurrte Curru und schlug Uredhs Waffenarm zur Seite.
Auch Eri stand plötzlich auf dem Felsen. »Ihr seht, nur in den Händen meines Klans kann der Lichtstein ruhen.«
»So soll es wohl sein, das sehen wir jetzt. Doch was nun, Yaman Eri?«, fragte einer.
Eri stockte. Offensichtlich war er auf diese Frage nicht vorbereitet. Curru räusperte sich. Awin war sich sicher, dass er zu irgendeiner weitschweifigen Antwort ansetzte, aber er beschloss, ihm zuvorzukommen: »Hört, Hakul. Hier, im Schutze des heiligen Sees, sind wir sicher, denn Slahan geht nicht über offenes Wasser. Doch genügt das? Wollen wir hier die Hände in den Schoß legen, während die grausame Feindin unsere Schwestern und Brüder in die Fremde verschleppt? Sie als Sklaven hält, um irgendwann ihren Durst an ihnen zu stillen? Nein! Ich sage euch, wir sollten sie jagen, wohin sie auch geht, denn mit dem Lichtstein haben wir eine Waffe, mit der wir sie bezwingen können.«
»Ihr habt sie einmal bekämpft, und viele von uns haben für euren Sieg mit dem Leben bezahlt. Wer sagt uns, dass es nicht wieder so sein wird?«, zischte Uredh.
»Niemand, Yaman, doch sind wir nicht Hakul? Seit wann darf ein Feind, sei er Mensch oder Gott, über unsere Weiden ziehen, unsere Lager verheeren, das Vieh vertreiben und unsere Schwestern und Brüder töten, ohne dass wir ihm entgegenträten? Fragten wir je nach der Stärke unserer Feinde, wenn sie Srorlendh heimsuchten? Ich weiß nicht, was ihr tun werdet, Hakul, und ich will euch nicht sagen, was ihr tun solltet, doch wir werden Slahan jagen, und jeder Mann, der sich uns anschließen will, ist willkommen. Der Heolin wird uns führen, zu einem guten oder einem bösen Ende. Einen Sieg kann ich euch nicht versprechen, nur einen großen, ruhmreichen Kampf. Und mag der Ausgang auch ungewiss sein, so ist doch sicher, dass noch die Kinder eurer Kindeskinder davon erzählen werden!«
Dann schwieg Awin und überließ den anderen das Feld. Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte, und er beteiligte sich nicht an dem Streit, der seiner kurzen Rede folgte. Für einen Augenblick hatte er gehofft, die Hakul überzeugt zu haben, aber jetzt, nach dem ersten Schrecken, gab es schon Widerworte aus der Menge. Eine Göttin jagen? Das war doch Wahnsinn! Zu der uneingestandenen Furcht vor Slahan gesellte sich schnell die Abneigung gegen den Führungsanspruch, den der Klan der Berge mit Awins Vorschlag, ohne es laut auszusprechen, verbunden hatte. Andere Klans erhoben nun ihrerseits Ansprüche. Sie verwiesen darauf, wie klein Eris Sippe war und wie groß und ruhmreich dagegen doch ihre eigene. Und während laut die eigenen Verdienste aufgezählt wurden, erinnerte sich manch ein Hakul wieder an irgendein Unrecht, das seinem Klan von einer anderen anwesenden Sippe zugefügt, aber nie gesühnt worden war. Slahan und der Heolin gerieten darüber fast in Vergessenheit. Bald sah es so aus, als würden die Krieger auch vergessen, dass sie auf heiligem Grund standen. Dolche wurden gezogen, Beleidigungen und Verwünschungen ausgestoßen. Kurz bevor es zum Handgemenge kam, war es dann Yaman Uredh, der sich Gehör verschaffte und Schlimmeres verhinderte: »Ich glaube, für heute ist genug gesagt worden«, rief er laut über das Getümmel. »Dies ist ein gesegneter Ort, vergesst das nicht, ihr Krieger!« Und als sich die Unruhe endlich gelegt hatte, fügte er hinzu: »Die Yamane werden morgen noch einmal beraten, was geschehen soll.«
»Und was ist mit den Sippen, deren Yamane tot oder fort sind, Uredh von der Schwarzen Faust?«, rief Harmin.
Uredh starrte ihn einen Augenblick finster an, dann antwortete er: »Sie mögen einen Vertreter entsenden, Harmin vom Schwarzen Fuchs.«
Und damit war die Versammlung zu Ende.
»Du hast dich verändert, Awin Sehersohn«, sagte Wela, als sich die Menge zerstreute.
Awin nickte schwach. Ihm war flau im Magen. Er wunderte sich immer noch über sich
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