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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Feine Schmiedezeichen waren in Klinge und Heft eingegraben. Er sah ihr Klanzeichen, das unten offene Dreieck, das matt in der Bronze des Griffs schimmerte. Die Zeichen auf der Klinge kannte er jedoch nicht alle. Wela erklärte sie ihm: »Dies
ist das Auge Edhils, das wohlwollend auf dir ruhen und dir den Weg weisen möge. Darunter siehst du meines Vaters Zeichen für das Pferd, es wird dich vor bösen Stürzen bewahren. Dies ist der dreifache Schild, der dich vor Pfeil-, Schwert- und Speerwunden schützt, und zu guter Letzt siehst du hier Uos Hand. Sie ist ausgestreckt, bereit, die Krieger zu empfangen, die du zu ihm schickst, damit sie dir nicht auf Marekets immergrünen Weiden deinen Platz an der Seite des Gottes streitig machen. Diese feine Linie aber ist der Schicksalsfaden Tengwils. Sie verbindet all die Zeichen, und, wie du siehst, endet sie, so wie auch dein Leben einmal enden wird, Awin, Kawets Sohn. Und zwar früher, als es sollte, wenn du nur auf den Schutz dieser Zeichen vertraust und dich nicht selbst in Acht nimmst.«
    »Und jetzt?«
    »Nimm ihn, er ist dein, und kein anderer darf ihn je führen.«
    Awin nahm das Messer. Es lag hervorragend in der Hand, so, als sei der Griff nur für ihn gemacht. Er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig an die schlichten Worte, die den Ritus abschließen mussten: »Ich danke dir, Schmied, und werde dein Werk ehren.«
    »Gut so«, sagte Wela mit einem zufriedenen Lächeln, »aber vergiss nicht, dass du mir die Hälfte deiner nächsten Beute schuldest.«
    Awin konnte sich an der matt schimmernden Klinge gar nicht sattsehen. Er hatte schon viele Waffen in der Hand gehalten, aber diese war anders.
    »Sag, Awin, kann ich dich etwas fragen?«, sagte Wela, als sie begann, das Werkzeug zu säubern.
    »Natürlich«, murmelte Awin geistesabwesend.
    »Ich weiß, du hast tapfer gekämpft in Uos Mund und viele Feinde bezwungen, mehr als Curru jemals zugeben würde.« Sie stockte.

    Awin riss seine Aufmerksamkeit von der Waffe los. »Du willst wissen, ob ich einen Menschen getötet habe?«, fragte er.
    Wela nickte.
    »Diese Geschichte mit den drei Kriegern und dem Speerstoß, die hat sich Curru nur ausgedacht«, erklärte Awin, »aber sie hat einen wahren Kern.«
    »Nämlich?«
    »In der Schlacht am Glutrücken war Isparra, der Sturm. Die Luft war voller Staub, und ich konnte kaum zwanzig Schritte weit sehen. Alles ging durcheinander, ich habe gekämpft, meine Pfeile versandt, aber ob ich getroffen habe, kann ich nicht sagen. Doch da war ein Akkesch, ganz zu Anfang. Ich habe ihn aus vollem Galopp mit dem Speer getroffen. Ich nehme an, dass dieser Mann starb.« Awin seufzte. »Aber warum fragst du?«
    Wela sah ihn nachdenklich an, schließlich sagte sie: »Awin, du bist ein Seher, kein Krieger. Ich weiß es, und dein Dolch weiß es auch. Und ich denke, du solltest es auch wissen.«
    Awin starrte sie mit offenem Mund an. Dann wurde er zornig: »Ich bin ein Hakul!«, rief er.
    Wela lächelte. »Niemand bezweifelt das. Aber ich bin dein Schmied, und ich gab dir diesen Dolch. Das heißt, ich habe deine Seele gesehen. Ob es dir gefällt oder nicht.«
    »Die Klinge braucht noch eine Scheide, Schmied«, antwortete Awin knapp. Er konnte nicht glauben, dass sie seine Tapferkeit anzweifelte.
    »Ich dachte mir schon, dass dir nicht gefällt, was ich dir zu sagen habe. Aber vielleicht hast du nur noch nicht verstanden, was es bedeutet.« Und mit diesen Worten reichte sie ihm eine lederne Scheide. Sie war schmucklos, dunkelbraun, an der Spitze mit Bronze verstärkt. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Awin, dass Edhils Auge und ihr Klanzeichen schwarz darin eingebrannt waren. »Wenn sie dir nicht gefällt, kannst
du eine andere haben, aber ich hielt sie für passend. Und es ist nur eine Hülle, sie verrät nicht viel über das, was in ihr steckt«, meinte Wela mit einem Augenzwinkern und einem entwaffnenden Lächeln.
    Awin nickte. Wela hatte noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Dennoch, sie hatte ihn in seiner Kriegerehre gekränkt. Hatte er nicht gegen Feinde gekämpft, vor denen die meisten Hakul schreiend davongelaufen wären? Und dann sagte eine innere Stimme: »Du auch, wenn du gekonnt hättest.« Er versuchte, sie zu überhören, und befestigte die Scheide am Gürtel. Irgendwo in der Nähe krächzte eine Krähe. Ihm fiel ein, dass vor Sonnenaufgang noch ein weiteres Ritual auf sie wartete. Vielleicht würden sie dann auch endlich aufbrechen. Sie hatten schon zu viel Zeit verloren. Jeder

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