Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Luft und tauchte unter. Das Schwert der Kälte durchbohrte ihn zum zweiten Mal. Er schoss wieder an die Oberfläche, fühlte sich von kräftigen Händen gepackt und aus dem Wasser gezogen. Jemand warf ihm das große Tuch zu. Er begann eilig, sich abzutrocknen. Seltsamerweise fühlte Awin, dass seine Haut zu glühen begann. Die Männer lachten und klopften ihm auf die Schulter. Jemand reichte ihm einen Tonbecher mit heißem Kräutersud. Es war das Mädchen, das ihn ans Ufer geführt hatte. Er nickte ihr dankbar zu. Niemand aus seinem Klan war anwesend. Natürlich, sie bereiteten Eri auf seine Erhebung zum Yaman vor. Aber er war doch enttäuscht. Selbst Merege war nicht zu sehen. Der Sud tat gut, doch er schmeckte furchtbar, und jetzt spürte er den kalten Wind, der sich durch das Tuch nicht abhalten ließ, und er begann, am ganzen Leib zu zittern. Harmin klopfte ihm noch einmal auf die Schulter. »Die meisten Krieger bekommen ihren Dolch im Winter«, erklärte er grinsend, »denn dann kommen die Sgers nun einmal von ihren Kriegs- und Beutezügen zurück. Aber dass du dir den kältesten Frostmond seit Jahren ausgesucht hast, spricht nicht unbedingt für deine Weitsicht, junger Seher. Aber nun geh, dein Dolch wartet auf dich. Im Zelt findest du frische Sachen. Sie haben Harbod gehört, aber er wird nichts dagegen haben, dass du sie trägst.«
Das Mädchen begleitete Awin zurück ins Zelt. Sie hatte die ganze Zeit geschwiegen, aber als sie ihm das Gewand reichte, sagte sie: »Es ist ein Festgewand. Ich glaube, mein Vater hat es bei seiner Hochzeit getragen.«
Awin nahm das Gewand beklommen entgegen. Es war schwarz, wie alle Festgewänder seines Stammes, und aufwändig bestickt. Auch die Stickereien waren in Schwarz gehalten, was ungewöhnlich war.
»Du bist Kuandi?«, fragte er plötzlich.
Das Mädchen nickte. »Woher kennst du meinen Namen?«
»Dein Vater hat mir einmal gesagt, wie stolz er auf dich ist«, log Awin. In Wahrheit hatte Harbod ihm dieses Mädchen als Frau angeboten und damit versucht, ihn, den jungen Seher, in seinen Klan zu locken, so wie es Harmin jetzt bei Wela versuchte. Das schien in dieser Sippe ein beliebtes Mittel zu sein.
Das Mädchen sah ihn nachdenklich an. »Du solltest dich jetzt umziehen. Ich höre den Schmiedehammer nicht mehr, das heißt, die grobe Arbeit ist getan.«
Awin kehrte in die Schmiede zurück. Wela sah nur kurz auf. »Du bist gereinigt, junger Krieger?«
»Seele und Körper«, antwortete Awin, wie es vorgeschrieben war.
»Bevor ich das Werk vollende, wollen wir prüfen, ob der Dolch dich annimmt.« Sie schlug das Tuch zur Seite, unter dem die Waffe verborgen war. Da lag sie nun, die Klinge, die Awin als einen Krieger auswies, der wenigstens einen Feind getötet hatte. Er war beinahe enttäuscht. Die Bronze schimmerte nur schwach, die Schneide wirkte stumpf. Aber natürlich, die Arbeit war noch nicht beendet, die Klinge noch nicht geschliffen. Awin musste plötzlich daran denken, dass Yaman Aryak ihn schon zu den Yamanoi berufen hatte, obwohl er sich
seinen Dolch noch nicht verdient hatte. Ihm war gar nicht klar gewesen, wie überaus unüblich das gewesen war.
»Nimm die Schneide in die Hand, junger Krieger«, forderte Wela förmlich.
Awin gehorchte. Er umfasste die Klinge fest, wie es vorgeschrieben war. Sie war warm. Wela griff nach dem Heft. Sie murmelte leise eine Beschwörungsformel, dann zog sie die Klinge langsam, Stück für Stück, aus seiner Hand. Awin spürte den Zug, aber die Schneide war noch stumpf, er würde sich nicht verletzen.
»Öffne die Hand«, befahl Wela.
Awin gehorchte. Verblüfft starrte er auf die Handfläche. Sie blutete. Wela zeigte ihm die Klinge, sie hatte sich schwach rot verfärbt. »Sehr gut«, sagte Wela lächelnd. »Der Dolch hat dich anerkannt.«
»Aber wie ist das möglich?«
Wela lächelte. »Das ist ein Geheimnis, Awin Sehersohn. Setz dich. Deine Anwesenheit ist erforderlich, damit die Klinge mir verrät, welche Zeichen sie tragen will.«
»Eri soll im Morgengrauen auf den Schild gehoben werden«, sagte Awin.
»Bis dahin ist noch viel Zeit, und jetzt sei still.«
Awin sah Wela zu, wie sie mit geschickten Händen, mit Hammer und Schleifstein, aus der stumpfen und beinahe unansehnlichen Klinge einen schimmernden Dolch schuf. Er konnte nachher nicht sagen, wie lange es gedauert hatte, ja, es mochte sein, dass er, an die Zeltwand gelehnt, sogar eingeschlafen war, aber schließlich war sein Blutdolch fertig. Er betrachtete ihn.
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