Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
erfahrenen Männer und Weisen war und dass Jünglinge hier zu schweigen hatten. Awin hielt den Lichtstein hoch. Das wirkte, der Lärm verebbte.
»Nichts liegt mir ferner, als die althergebrachte Ordnung zu stören, ihr Männer«, sagte er mit grimmigem Lächeln, »und es steht euch frei, euch so lange zu streiten, wie ihr es für richtig haltet. Doch will ich euch sagen, dass ich das Lager morgen früh noch vor Sonnenaufgang verlassen werde. Und der Heolin mit mir. Ich weiß nicht, ob mir einer von euch folgen will, aber jeder Mann, der mit mir auf diese gefährliche Jagd geht, ist mir mehr als willkommen.« Dann verneigte er sich und verließ das Zelt, während hinter ihm die Wellen der Empörung lautstark zusammenschlugen.
Wütend stapfte er zu ihren Zelten zurück, mit einem bitteren Lachen über sich selbst auf den Lippen. Er hatte sie alle vor den Kopf gestoßen. Vermutlich würde keiner der Würdenträger ihm das verzeihen. Er fragte sich, ob er seiner Schwester nicht gerade einen sehr schlechten Dienst erwiesen hatte. Er hätte sich nicht von seinem Zorn hinreißen lassen dürfen. Doch andererseits - sie würden noch Tage beraten und nichts unternehmen, weil sie einfach Angst hatten. Seine Wut flaute ab. Die meisten Klans waren von Slahan hart getroffen worden. Dass sie sich fürchteten, verstand Awin nur zu gut. Er selbst spürte diese Furcht auch: Wenn er aufbrach, um die Gefallene Göttin zu jagen, würde dann bei seiner Rückkehr noch jemand hier sein, oder würde irgendein anderes Unglück - ein anderer Feind oder ein Streit unter den Klans - die wenigen, die geblieben waren, verschlungen haben? Vor ihren Zelten traf er Merege, die ihre Hände am Feuer wärmte. Er atmete tief
durch. Er hatte seine Entscheidung verkündet, jetzt gab es kein Zurück mehr. »Morgen früh breche ich auf, und ich hoffe, du begleitest mich, Merege.«
Die Kariwa starrte ins Feuer und sagte dann: »Du trägst den Heolin, und den werde ich nicht verlassen, Awin.«
Das war nicht das, was er zu hören gehofft hatte, aber es war besser als nichts. Er ging ins Zelt, wo er Wela traf, die offenbar dabei war, ihr Bündel zu packen. »Was tust du da?«, fragte er verwundert.
»Ich bereite mich auf den Aufbruch vor. Diese Göttin hat viele Verwandte von mir in ihren Klauen. Ich will dabei sein, wenn du sie befreist.«
»Aber das ist ein Kriegszug, ich meine - es ist eigentlich Männersache.«
Wela warf ihm einen eigentümlichen Blick zu. »Hast du nicht gerade die bleiche Ziege gefragt, ob sie mitgeht? Und ist sie keine Frau?«
»Du hast gute Ohren«, brummte Awin, »und ja, sie ist eine Frau - und keine Ziege.«
»Dann wäre das also geklärt«, stellte Wela zufrieden fest.
Awin machte auf dem Absatz kehrt und ging wieder nach draußen. Er musste mit Gregil sprechen, vielleicht konnte die Yamani Wela diesen Unsinn ausreden.
»Da ist ja der Störenfried«, rief die helle Stimme Eris. Curru war bei ihm. Wieder fiel Awin auf, wie sehr Curru gealtert schien, seit er an Egwas Grab gestanden hatte.
Awin überhörte Eris Bemerkung und fragte: »Ist die Versammlung etwa schon zu Ende?«
Curru schüttelte den Kopf: »Nachdem du, ohne mich oder deinen Yaman vorher zu fragen, deine Entscheidung verkündet hast, gab es für uns nichts mehr zu verhandeln.«
»Du hättest mich fragen müssen, Awin«, zürnte Eri.
»Haben wir nicht gestern entschieden, dass wir Slahan jagen werden?«, fragte Awin verärgert. »Oder bist du heute etwa anderer Meinung als gestern, Eri?«
»Es heißt Yaman Eri, mein Junge«, belehrte ihn Curru erneut und fuhr fort: »Und was diese Narren im Zelt betrifft, nun, sie müssen darüber reden. Oder glaubst du, es fällt ihnen leicht, einem Ratschluss zu folgen, der in einem anderen Klan gefasst wurde?«
Awin musste zugeben, dass Curru nicht unrecht hatte. Es waren Hakul, und das hieß, sie achteten eifersüchtig auf ihre Rechte und waren kaum bereit, eine andere Führung als ihre eigene anzuerkennen. Aber dafür war keine Zeit, sahen sie das nicht? »Sie würden doch noch Tage beraten, wenn ich ihnen keine Frist gesetzt hätte«, meinte er verdrossen.
»Vielleicht hast du den Bogen überspannt, mein Junge. Vielleicht werden einige Männer hierbleiben, die uns nur einen Tag später mit Freuden gefolgt wären.«
»Das heißt, ihr kommt mit?«, fragte Awin, um sicherzugehen.
»Natürlich. Der Stein gehört unserem Klan und nicht dir allein, Awin«, sagte Eri. »Außerdem werden wir unseren Feinden in diesem
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