Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
morsch«, brummte Tuge, als sie ihn unter allerlei Hausrat vergruben.
»Ist so etwas schon jemals vorgekommen?«, fragte Awin leise.
»Nicht, dass ich wüsste. Ich nehme an, es ist kein Glück verheißendes Zeichen, oder?«
»Es bedeutet gar nichts«, zischte Curru, der ihnen gefolgt war.
»Es bedeutet einen schlechten Beginn«, widersprach Tuge. »Wer es gesehen hat, wird es nicht vergessen.«
»Aber er wird nicht darüber reden. Versprecht mir, dass ihr es nie wieder erwähnt«, forderte Curru.
»Du verlangst viel«, antwortete Tuge ruhig.
Awin war überrascht. Der Bogner war ein Mann, der die Ordnung des Klans hoch schätzte und verteidigte, aber nun gab er dem alten Seher Widerworte.
»Wenn sich das herumspricht, wird unsere Sippe viel Ansehen verlieren, Tuge«, sagte Curru, und es klang böse.
»Ich wundere mich, dass du dieses Zeichen der Götter nicht deuten willst, Curru«, gab der Bogner trocken zurück.
»Und ich bin erstaunt, dass du dich weigerst, den Wunsch deines Yamans zu erfüllen«, zischte Curru wütend.
»Vielleicht«, warf Awin schnell ein, »genügt es ja, wenn wir dir und Eri versprechen, diese Sache keinem Fremden gegenüber zu erwähnen.«
Curru sah ihn scharf an. »Es heißt Yaman Eri«, sagte er knapp.
»Ich glaube, dass ich Awins Vorschlag folgen kann«, meinte Tuge. »Wir werden diese Sache bereden müssen, später, wenn Zeit ist, doch natürlich ist es etwas, das wir unter uns klären sollten.«
»Da gibt es nichts zu bereden«, rief Curru ungehalten.
»Das sehe ich anders, alter Freund. Doch solltest du leiser sprechen. Das Lager erwacht allmählich. Und sie werden sich ohnehin fragen, warum wir die Erhebung des neuen Yamans nicht so feiern, wie es sonst üblich ist.«
»Wir werden schon noch einen Hammel schlachten, Tuge, keine Angst. Und dass wir nicht feiern - nun, es sind dunkle Tage, wer wollte es uns verdenken?« Damit hatte Curru natürlich recht.
Sie schlachteten am späten Morgen sogar zwei Hammel und teilten sie mit jedem, der an ihrem Feuer vorüberging. Wenn sich einer der anderen Hakul darüber wunderte, dass es sehr ernst und ruhig an diesem Feuer zuging, behielt er es für sich.
Erst nach Mittag riefen die Yamane Uredh und Brediak zur angekündigten Versammlung der Klanführer und Würdenträger. Yaman Brediaks Rundzelt war das größte im Lager, aber es reichte dennoch kaum, die gut zwanzig wichtigen Männer
aufzunehmen, die sich nun trafen. Awin hatte sich auch von Curru nicht ausreden lassen, teilzunehmen. Er war der Träger des Lichtsteins, und er musste wissen, was dort beraten wurde, ein Entschluss, den er schnell bereute. Der Eindruck, den sein Auftritt am vorigen Abend hinterlassen hatte, war schon wieder verblasst. Zudem taten Uredh und vor allem Brediak alles, um die Hakul davon zu überzeugen, dass der Lichtstein am Sichelsee doch am besten aufgehoben sei. Ein Schmied, ein schwarzbärtiger Hüne vom Klan des Klees, schlug vor, man möge nach Tiugar senden, der verborgenen Stadt, und das Orakel der weißen Stuten in dieser Sache entscheiden lassen, was, wie Awin wusste, viele Wochen dauern würde. Ein anderer schlug vor, man möge Heredhan Horket, als mächtigsten Fürsten der Schwarzen Hakul, um Hilfe ersuchen, was Curru aber strikt ablehnte.
Jeder der inzwischen zwölf Klanführer, war er nun Yaman, Seher, Schmied, Ältester oder nur Yamanoi, hatte daraufhin etwas Wichtiges zu sagen, und da jeder der anwesenden Klans mit wenigstens einer der anderen Sippen mehr oder weniger verfeindet war, rückte mit jedem Redner die Einigung in weitere Ferne. Awin hörte zu, aber seine Ungeduld wuchs. Endlich, als der Älteste des Klans der Schwarzen Ranke ansetzte, umständlich von den Leiden seiner Sippe zu berichten, erkannte er, dass er von dieser Runde wenig Hilfe zu erwarten hatte. Vermutlich hatten Brediak und Uredh sie genau deshalb einberufen. Die beiden Yamane wollten den Lichtstein hier in ihrer Obhut behalten und gingen vermutlich davon aus, dass sie so am leichtesten Zeit gewinnen konnten. Awin stand auf und trat in die Mitte der Versammlung, obwohl er gar nicht das Wort hatte. Der Älteste des Ranken-Klans sah ihn verwirrt an und vergaß offensichtlich, was er gerade hatte sagen wollen. »Ich danke dir, ehrwürdiger Vater, dass du mir das Wort überlässt«, begann Awin. Diesem kurzen Satz folgte ein Sturm
der Entrüstung, denn wenn sie auch untereinander zerstritten waren, so waren sie sich doch darin einig, dass dies der Rat der
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