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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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weitere Tag des Wartens verringerte die Aussicht, dass er seine Schwester befreien konnte. »Ich glaube, es wird bald hell«, sagte er. »Wir müssen uns beeilen. Diese Nacht hat noch eine Aufgabe für uns.«

Dhurys
    IN DER STUNDE vor Sonnenaufgang, bei völliger Windstille und in klirrender Kälte, hoben sie Eri auf den Schild. Curru hatte die ganze Nacht mit dem Anwärter gewacht, die Götter und die Ahnen um ihren Segen gebeten, ihn gesalbt und ihm die heiligen Versprechen der Yamane abverlangt. Und Eri hatte gelobt, den Klan zu schützen, seine Ehre zu verteidigen, Unrecht zu rächen, ihre Herden zu mehren und den Kriegern in der Schlacht stets voranzureiten. Dann hatte er auf seinem Pferd einmal die Zelte der Seinen umrundet - was nicht einfach gewesen war, denn sie standen inmitten vieler anderer - und war nun schließlich bereit, sich erheben zu lassen. Ein einsames Feuer flackerte zwischen ihren beiden Zelten. Der große, lederbespannte Holzschild wartete auf den neuen Yaman. Tuge, Curru, Awin und Mabak standen bereit. Eri stieg vom Pferd, sein Gesicht strahlte. Er war barfuß, wie es der Brauch verlangte, und er trug den langen Mantel aus dem Fell schwarzer Wölfe, den schon sein Vater und sein Großvater bei ihrer Erhebung getragen hatten. Er war Eri zu groß, und sein Saum schleifte über die gefrorene Erde, als er zum Schild schritt.
    »Ein Krieger bist du, ein Fürst wirst du sein, Eri, Aryaks Sohn«, rief Curru laut.
    Das Lager war still. Außer den Männern, Frauen und Kindern des Berg-Klans war kein Hakul zu sehen. Auch Merege konnte Awin nirgendwo entdecken. Ob sie noch mit ihren Ahnen sprach? Eri atmete tief ein, setzte einen Fuß auf den Schild, dann den zweiten. Er nickte Curru stolz zu. Gregil
stand im Eingang ihres Zeltes und betrachtete ihren Sohn mit leuchtenden Augen.
    »Auf, ihr Krieger!«, rief Curru.
    Der Ehrenschild ruhte auf einem Kranz großer Feldsteine, was es den vier Trägern erleichterte, ihn zu packen. Awin fühlte den bronzeverstärkten Rand. Er war eiskalt. Als Curru sich versichert hatte, dass ihr Griff fest war, nickte er, und sie hoben den Schild vorsichtig an. Das war keine leichte Sache, zumal sie unterschiedlich groß waren. Es brachte Unglück, wenn ein Yaman bei der Erhebung stürzte - Unglück und natürlich unendlich viel Spott von anderen Klans. Aber es gelang, sie hoben den Schild auf Schulterhöhe und begannen, das Feuer langsam zu umrunden. Curru bat die Götter um ihren Segen. Awin hörte das Holz leicht knacken. Nun, der Schild war alt, fast so alt wie ihr Klan, wenn es stimmte, was Telia behauptete. Mit gemessenem Schritt setzten sie ihren Weg fort, und Curru murmelte seine Gebete. Awin sah auf. Eri stand auf dem Schild, eingehüllt in Wolfsfelle, die Hand am Schwertknauf, ein schwarzer Schatten vor der anbrechenden Morgendämmerung. Er wirkte groß und würdevoll. Es knackte lauter, ein hässliches, Unheil kündendes Geräusch. Awin konnte unter seinen steifen Fingern fühlen, wie das Holz sich bewegte - und plötzlich brach. Gregil schrie entsetzt auf, und Eri fluchte, genauso die Männer, die alles versuchten, um den brechenden Schild zu halten. Sie hatten Glück im Unglück, denn der Bronzerahmen und das Leder hielten das Holz zusammen, so dass ihr neuer Yaman zwar taumelte, aber nicht stürzte. Eilig brachten sie die Strecke stolpernd und fluchend zu Ende, und Curru rief keuchend die vorgeschriebenen Worte: »Ein Krieger warst du, ein Fürst bist du nun, Yaman Eri.«
    Schnell sprang Eri herab, und es war keinen Augenblick zu früh: Der Schild glitt den Trägern aus den Händen und fiel
polternd zu Boden, ein Stück Holz brach heraus, und die alte Lederhaut zerriss. Der Schild kreiselte noch ein paar Mal über den Boden, dann blieb er liegen. Es war totenstill. Die Hakul starrten einander entsetzt an. Man musste kein Seher sein, um zu wissen, dass dies ein sehr böses Omen war.
    »Zu niemandem ein Wort!«, rief Curru, als der erste Schreck sich gelegt hatte.
    Gregil stand mit versteinerter Miene und starrte den zerbrochenen Schild an. Dann drehte sie sich um und verschwand im Zelt.
    »Versteckt das«, forderte Yaman Eri, der seiner Mutter folgte.
    »Die Kinder haben es auch gesehen«, sagte Tuge der Bogner nachdenklich.
    »Ich rede mit ihnen«, bot Mabak an.
    »Mach das, und du, junger Seher, hilfst mir am besten mit diesem unglückseligen Schild«, flüsterte Tuge.
    Sie versteckten den Schild auf einem ihrer Wagen. »Er war einfach alt und das Holz

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