Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
um seinen Dank auszudrücken, dafür, dass sie ihn unterstützte, dass sie zu ihm hielt, und dass sie bereit war, ihr Leben mit ihm aufs Spiel zu setzen bei diesem doch beinahe hoffnungslosen Kampf gegen die Gefallene Göttin. Er konnte ihr großzügiges Angebot natürlich nicht annehmen, auch wenn er es gerne wollte. Die Jagd war schon für ihren Sger mehr als gefährlich. Zu zweit wäre sie selbstmörderisch, und das Letzte, was er wollte, war,
Wela in Gefahr zu bringen. Die widersprüchlichsten Gedanken schossen ihm, alle auf einmal, durch den Kopf, und er fasste sie zusammen in dem Satz: »Was soll mir ein Mädchen schon dabei nützen?«
Von da an ritt Wela an der Seite ihres Onkels und würdigte Awin keines Blickes mehr.
Etwas später lief ein Gerücht durch die Reihen, eine gute Nachricht, die sich bald zur Gewissheit verfestigte und die Männer ermutigte: Der Lichtstein war unter ihnen! Awin hörte es, und er verfluchte den Urheber des Gerüchtes, wer immer das sein mochte. Werek kam zu ihm. »Ist es wahr, du trägst den Heolin?«
Awin wusste, dass es zwecklos war, es zu leugnen, und nickte.
»Wann hattest du vor, uns das zu verraten, junger Hakul?«
»Ihr wisst es doch jetzt«, antwortete Harmin, der hinter Awin ritt, an seiner Stelle.
»Dich habe ich nicht gefragt, Schmied, doch auch du hast unsere Gastfreundschaft angenommen und es uns mit Misstrauen gedankt. Was habt ihr gedacht? Dass wir ihn stehlen wie Diebe?«
Awin schüttelte stumm den Kopf.
Werek starrte ihn finster an. »Zeig ihn mir!«, befahl er.
Awins Hand wanderte schon zum Stab, den er, in eine Decke gewickelt, an den Sattel gebunden hatte, doch dann besann er sich eines Besseren: »Ich bin kein Jungkrieger in deinem Sger, dass du mir Befehle erteilen könntest!«, entgegnete er stolz, obwohl ihm gar nicht so zumute war. Awin plagte das schlechte Gewissen. Es war dumm gewesen, den Heolin vor den anderen zu verbergen. Es war doch zu erwarten gewesen, dass sich irgendeiner der Yamanoi oder Jungkrieger verplappern würde. Der Zug geriet ins Stocken.
»Ich bin Werek, Yaman vom Klan des Schwarzen Sperbers, junger Krieger. Zeig mir den Stein!«
»Und ich bin Awin, Seher vom Klan der Schwarzen Berge. Und du hast mir nichts zu befehlen, Yaman.«
»Zeig ihm den Lichtstein, Awin«, rief eine helle Stimme. Es war Eri.
Awin warf ihm einen wütenden Blick zu. Sein eigener Yaman fiel ihm in den Rücken!
Werek lachte. »Nun, Seher, was ist?«
Also zog Awin den Stab aus der Decke, richtete ihn auf und hielt ihn in den prasselnden Regen. Als er ihn vor den dunklen Wolken hochreckte, war der schwache Glanz, der im Heolin erwacht war, deutlich zu sehen. Ein Raunen lief durch die Reihen, und Werek nickte zufrieden: »Es ist also wahr. Horket wird sich freuen, wenn er sieht, was wir mitbringen.«
Awin biss sich auf die Lippen. Es würde nun noch schwerer werden, nicht ins Ahnental zu gehen.
Als sich der Zug wieder in Bewegung setzte, klopfte ihm Harmin aufmunternd auf die Schulter: »Kopf hoch, junger Seher. Du hast dich gut gehalten. Meine Enkeltochter Kuandi wird stolz auf dich sein, wenn ich ihr davon erzähle.«
Von da an trug Awin den Heolin wieder offen, und er fragte sich, ob er auch bei Regen Kraft schöpfen würde. Gegen Mittag nahm Curru plötzlich den Platz an seiner Seite ein. Awins Nackenhaare stellten sich auf. Wenn sein ehemaliger Meister seine Nähe suchte, dann sicher nicht, weil er mit ihm über das Wetter plaudern wollte. Awin fragte sich, ob es sein alter Meister gewesen war, der Werek sein Geheimnis verraten hatte.
»Glaubst du, dass ich das Bussardzeichen falsch gedeutet habe?«, fragte Curru, nachdem sie eine Weile nebeneinander durch den strömenden Regen geritten waren.
Awin konnte sich nicht vorstellen, dass sein alter Lehrer wirklich seine Meinung hören wollte. Er blieb auf der Hut und antwortete vorsichtig: »Mir schien es eher ein Gleichnis als ein Zeichen zu sein, Curru.«
»Wie ich sehe, hast du also doch etwas bei mir gelernt«, lautete die überraschend freundliche Antwort.
»Aber warum hast du es dann als Zeichen gedeutet?«, fragte Awin kühl. Er wollte sich von dem Alten nicht einwickeln lassen.
Curru beantwortete die Frage nicht gleich, sondern sagte stattdessen: »Uneinigkeit ist eine der Schwächen der Hakul, Awin. Wir könnten die Welt beherrschen, wenn wir nur einig wären.«
»Und wenn alle sich darauf einigen, das Falsche zu tun?«, fragte Awin missmutig.
»Mir scheint, du bist schlecht
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