Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Groll gegen den Heredhan hegten. Viel mehr Klans waren aber gegen sie, und sosehr Curru sich auch anstrengte, er konnte einige Tatsachen nicht leugnen: Sie hatten den
Lichtstein nicht bewacht - und sie waren in Uos Mund gewesen, als Slahan von dort zu ihrem verheerenden Rachefeldzug aufgebrochen war. Awin fragte sich, woher Isgi so genau über jeden ihrer Schritte unterrichtet war. Curru hatte zwar auch am Sichelsee von ihren Abenteuern erzählt, aber doch in einer Art und Weise, die sie ziemlich gut hatte aussehen lassen. Nun, Isgi war ein Seher, und zwar einer, der nicht blind war wie Awin. Vielleicht wusste er es daher. Vielleicht war er auf die Reise gegangen, auf die Awin nicht mehr gehen konnte. Das Wortgefecht der beiden Seher dauerte und dauerte, doch ganz allmählich schien es auf ein Ende zuzusteuern. Isgi sagte: »Du kannst es abstreiten, Curru, aber ich habe gesehen, dass dein Klan, falls die wenigen Köpfe, die er noch zählt, überhaupt Klan genannt werden können, durch frevelhaftes Verhalten die Götter erzürnt und so das Unglück über uns alle gebracht hat.«
»Ich streite es ab!«, rief Curru zum wiederholten Male in das entstehende Stimmengewirr. Awin bemerkte, dass auch das inzwischen bedeutend leiser geworden war. Natürlich, die meisten Hakul standen schon seit dem Mittag hier und stritten, und nun hatten sie Mitternacht bereits hinter sich gelassen. Isgi beriet sich wieder leise mit dem Heredhan, und Awin schloss aus Horkets Gesten und Miene, dass er die Versammlung bald beenden wollte. Das konnte er nicht zulassen, denn das Entscheidende - das, weswegen er hier war - war doch noch gar nicht gesagt worden. Er wickelte den Heolin aus dem schützenden Leder und hielt ihn hoch. Als der Lärm verebbte und er sicher war, die Aufmerksamkeit aller zu haben, trat er einen Schritt vor. »Dies, Stammesbrüder, ist der Heolin«, rief er.
»Dieser junge Seher hat nicht das Recht, hier zu sprechen!«, zischte eine durchdringende Stimme.
»Wir wollen ihn hören«, brüllte ein anderer.
Und der Aufruhr, der beinahe eingeschlafen war, erwachte von neuem. Als er sich endlich legte, war es Heredhan Horket, der das Wort ergriff: »Wir haben lange beraten, ihr Männer, vielleicht zu lange. Was jenen jungen Seher betrifft, so sollte er die Gesetze kennen. Er hat in diesem Rat nicht das Wort, denn das hat er seinem Meister überlassen. Er kann uns aber diesen Stein an seinem Stab übergeben. Wir werden dann die Seher zusammenrufen, um zu entscheiden, ob es der Heolin ist oder nicht.«
Awin schüttelte stumm den Kopf.
»Nun, bei einem Mann deines Klans wundert mich diese Verstocktheit nicht, junger Seher. Ihr seht, Hakul«, wandte er sich an die Versammlung, »dass nur noch wenig Klugheit in den Schwarzen Bergen wohnt, die doch einst für ihre weisen Bewohner berühmt waren. Wäre dies der Heolin, könnten sie ihn uns doch ruhigen Gewissens zur Prüfung überlassen. So aber ist offensichtlich geworden, dass dies nicht der Lichtstein ist. Soll der Knabe dieses bunte Stück Akkesch-Glas behalten. Ihr habt gehört, was heute hier gesagt wurde. Morgen werden wir entscheiden, was daraus folgt.« Dann schlug er mit einem schweren Stein auf die Armlehne seines Sitzes, und damit war die Versammlung für diesen Tag beendet.
»Du hast alles nur noch schlimmer gemacht, mein Junge«, zürnte Curru, als sie beieinanderstanden und warteten, dass die Menge sich verlief. Das geschah sehr langsam. Der Heredhan mochte das Ende der Beratung verkündet haben, doch es gab noch so vieles zu bereden. Bald bildeten sich überall kleine Grüppchen, die mit ernster Miene noch einmal berieten, was sie eben gehört hatten.
»Es war die einzige Möglichkeit. Du hättest ihn doch nie erwähnt, Curru«, verteidigte sich Awin.
»Alles zu seiner Zeit, aber das musst du wohl noch lernen, mein Junge.«
Harmin kam zu ihnen, grüßte mit einem freundlichen Nicken und sagte dann: »Morgen kannst du, Awin Sehersohn, für den Klan des Schwarzen Fuchses sprechen.«
Awin starrte den Schmied verdutzt an. Womit hatte er denn dieses Angebot verdient?
»Ein Hakul kann nicht für eine andere Sippe sprechen, Schmied, das solltest du wissen«, entgegnete Curru scharf.
»Es sei denn, er wird in diese Sippe aufgenommen«, erklärte Harmin lächelnd.
Jetzt verschlug es nicht nur Awin die Sprache. Selbst Curru war für einen Augenblick verblüfft, dann zischte er: »Mein Schüler wird seinen Klan in dieser finsteren Stunde sicher nicht verlassen,
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