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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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gedankenverlorenen Blick angesehen. Vielleicht hatte sie der Anziehungskraft des Ortes nicht widerstehen können. Awin beeilte sich. Es wäre nicht gut, wenn ein anderer sie dort sehen würde. Im Lager war es inzwischen ruhiger geworden, die meisten Hakul schliefen. Awin eilte durch die Dunkelheit. Er schlug einen Bogen um die Rundzelte der Yamane und betrat den Kreis von Osten. Die Fackel, die vorhin für Isgi und ihn gebrannt hatte, war erloschen, aber der schnelle Südwind hatte die Wolkendecke aufgerissen, und aus den Lücken schimmerte die Sichel des Mondes auf den Platz herab. Awin tastete sich vorsichtig voran und hielt nach Wachen Ausschau. Eine Krähe krächzte müde von einer der Säulen. Curru hätte das bestimmt wieder als Zeichen für irgendetwas gedeutet. Krähe in der Nacht? Awin war sicher, dass es dazu wenigstens eine alte Seherweisheit gab. Und wie alle Krähenzeichen hing sie vermutlich mit dem Tod zusammen.
    »Ich bin hier, Awin«, hauchte Mereges leise Stimme.
    Er konnte sie immer noch nicht sehen. Dann hörte er ihre Schritte. Merege trat aus dem tiefen Schatten der nächsten Säule heraus.
    »Was machst du hier?«, rief er leise. »Es ist gefährlich. Wenn sie dich hier finden …«

    »Hast du sie berührt?«, fragte Merege, als habe sie ihn gar nicht gehört.
    »Wen?« Er verlor für einen Augenblick den Faden.
    »Berühre diese Säule, Awin!«
    Er kam ihrem Wunsch nach. Der Stein war kalt, die Oberfläche rau. Es fühlte sich nicht anders an als Fels.
    »Spürst du ihr Alter, Awin?«
    »Nun, es ist Stein, ich kann nicht sagen, wie alt oder jung er sich anfühlt«, erwiderte Awin verunsichert. »Dennoch wäre es sicherer für dich, nicht hier zu sein.«
    »Aber selbst ein Steppenkind sollte doch spüren, dass diese Säule schon ungezählte Jahrhunderte hier steht«, erwiderte Merege ruhig.
    »Mag sein«, gab Awin leise zurück. Er betrachtete die Säule. »Unsere Alten erzählen, dass der Gott Mareket selbst sie errichtet hat«, gab er das wieder, was er von Tuge gehört hatte, und er fragte: »Glaubst du, dass das stimmt?«
    Eine schwere Wolke schob sich vor den Mond, und so ahnte er mehr, als es zu sehen, dass sie den Kopf schüttelte. »Die Riesen haben diese Steine aufgestellt.«
    Awin fand es aber leichter, zu glauben, dass es Mareket gewesen war, und als hätte sie seinen Unglauben noch aus seinem Schweigen herausgehört, fuhr Merege fort: »Sie haben viele solcher Steine aufgestellt. Bei uns findest du ganz ähnliche Säulen, gar nicht weit vom Skroltor. Oder denke an den Stein, den ihr Strydhs Felsen nennt. Die Riesen haben diese Säulen vor langer Zeit errichtet, weil sie fürchteten, in Vergessenheit zu geraten. Doch es war wohl vergeblich. Nur die Kariwa erinnern sich noch an sie, und ihre Werke werden Göttern oder gar Menschen zugeschrieben.«
    »Wir sollten hier verschwinden. Ich wundere mich ohnehin schon, dass hier keine Wachen stehen«, drängte Awin.

    »Oh, dort drüben steht ein Krieger. Unter der Säule, die ihr die Schiefe Schwester nennt.«
    Awin erstarrte. »Hat er uns noch nicht entdeckt?«
    »Doch, natürlich. Er hat mich gegrüßt, als ich diesen alten Kreis betrat.«
    »Er hat dich gesehen?«
    »Ich glaube sogar, dass er uns jetzt hören kann, junger Seher.«
    Aus dem Dunkeln klang leises Gelächter herüber. Aus irgendeinem Grund war sich Awin sicher, dass es der Jäger war, der ihn oben am Garam aufgespürt hatte. Er packte Merege am Arm. »Dann komm, ich habe mit dir zu reden, aber am besten außerhalb des Lagers. Hier gibt es mir zu viele Krähen - und zu viele Späher.«
    Er zog sie aus dem Lager. Er fand eine Lücke in dem Kreis der Wachfeuer auf den Hügeln und hielt darauf zu. Oben angekommen, war er unschlüssig, aber dann nahm die Kariwa ihn bei der Hand und sagte: »Komm, ich kenne einen sicheren Platz.«
    Sie zog ihn hinab in die Dunkelheit der nächsten Senke. Als Awin sich umdrehte, sah er den Lichtschimmer des Lagers über den Hügeln. Er fragte sich, ob der Jäger sie vielleicht verfolgte. Wenn es so war, würde er ihn kaum bemerken. Merege führte ihn mit sicheren Schritten über den Hang. Bald hörte Awin Wasser plätschern. Sie blieben stehen.
    »Ich kann nicht sagen, ob uns jemand folgt, Awin, denn selbst ich müsste Licht machen, um ihn zu entdecken. Aber dieses freundliche Gewässer wird einen Schleier über unsere Worte legen.«
    Die Wolken rissen wieder auf, und Awin konnte immerhin erkennen, dass sie an einem kleinen Bach standen. Das

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