Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Hand auf und vertrieb die Dunkelheit.
Es war Eri, der sich aus den Schatten erhob.
»Du bist leichtsinnig, Kariwa, dass du deine Kunst hier offenbarst«, erklärte er grinsend.
»Wie hast du uns gefunden, Eri?«, fragte Awin und ließ den Ehrentitel absichtlich fort.
Eri sah ihn böse an. »Ich bin dir von unserem Lagerplatz aus gefolgt, denn ich wollte sehen, welche Ränke du in dieser dunklen Nacht schmieden würdest.«
»Weit weniger als du und Curru, scheint mir«, entgegnete Awin trocken.
»Du bist wirklich blind, Awin, wenn du nicht erkennst, dass wir nur versuchen, die Unseren zu retten. Siehst du nicht, dass Horket zwar die Macht hat, die wir brauchen, er aber keinen Finger für die Verschleppten krumm machen wird?«
Awin musste sich eingestehen, dass Eri in diesem Punkt
recht hatte. Er hatte nur Zweifel, dass sich sein Yaman sehr viel anders verhalten würde, wenn er erst einmal Heredhan war. »Wir werden sehen«, entgegnete er daher knapp.
»Du bist ein seltsamer Mensch, Awin, ein Seher, aber blind für das, was offen zutage liegt, ein Krieger, aber ohne Treue für die, die ihn schützten und aufzogen. Nun, ich habe begriffen, dass ich nicht länger auf deine Gefolgschaft vertrauen kann, aber ich bitte dich um einen letzten Gefallen. Curru erwartet uns an einem der Garame. Er hat einen Vorschlag für dich. Begleite mich und höre dir an, was er zu sagen hat, danach magst du entscheiden, wie immer du willst. Ich jedenfalls werde dich zu nichts zwingen, denn erzwungene Gefolgschaft ist wenig wert.«
Der Funke über Mereges Hand erlosch.
Awin hatte schon geahnt, dass es nicht Eris eigene Idee gewesen war, ihn zu verfolgen. »Dann bin ich neugierig, was mein ehemaliger Meister mir zu offenbaren hat«, antwortete er.
Und die kühle Stimme Mereges fügte aus der Dunkelheit hinzu: »Ich hoffe, du weißt, Eri, Aryaks Sohn, dass dieser Seher unter meinem Schutz steht, auch wenn ich nicht in seiner Nähe bin.«
Curru erwartete sie auf einem Hügel am Rande des Lagers, der von einem großen, aber zerfallenen Steinkegel gekrönt wurde. Ein helles Feuer brannte ein gutes Stück entfernt, und eine Wache ging dort auf und ab. Sie war außer Hörweite. Curru saß zusammengekauert auf den Steinen, ein krummer Schatten vor der unruhigen Flamme.
»Vor vielen Jahren, Awin, habe ich einen Stein auf diesen Garam gelegt«, begann er. »Zu meiner Linken stand mein guter Freund Aryak, zu meiner Rechten dein Vater Kawet, der
es mir gleichtat. Wie du siehst, war unserem Werk kein Bestand beschieden.«
»Du wolltest mich sprechen, Curru?«, fragte Awin schroff.
»Es ist traurig, dass es für dich ohne Belang scheint, was ich dir über deinen Vater erzählen will.«
Awin schwieg. Curru versuchte vermutlich nur, ihn mit einer alten Geschichte einzuwickeln.
»Dein Vater war ein hellsichtiger Mann, ein Meister unserer Kunst. Es ist wirklich schade, dass du nur für so kurze Zeit in seine Fußstapfen treten konntest. Aber ich habe dich nicht gerufen, um in deinen Wunden zu rühren, mein Junge«, behauptete Curru. »Jedenfalls hat Kawet vorausgeahnt, dass Tengwil uns trennen würde. Er sagte, dass wohl nur einer von uns noch einmal an diesem Garam stehen würde. Das war, als der Nachfolger von Lepi noch nicht auf den Schild gehoben war, als noch niemand ahnte, dass sich Horket dort hinaufschwingen würde - niemand außer deinem Vater.«
»Hast du mich hergerufen, um in Erinnerungen zu schwelgen, Curru?«
»Er hat schon mit der Kariwa gesprochen«, warf Eri ein.
»Dann weißt du also, worum wir sie gebeten haben?«
»Ich weiß, was ihr Merege dafür versprochen habt«, erwiderte Awin grimmig.
»Nun, wir werden ihr den Stein erst geben, wenn wir ihn nicht mehr brauchen, das sollte sie wissen«, erklärte Curru.
»So hat es sich für sie aber nicht angehört«, erwiderte Awin kalt.
»Ich weiß nicht, was sie hört oder nicht hört, ich weiß nur, was ich gesagt habe«, erklärte Curru ruhig. »Ich glaube, wir können unsere Brüder und Schwestern aus Slahans Klauen retten, aber nur wenn Eri Heredhan wird. Und dabei erwarte ich deine Hilfe. Wenn du es nicht für Eri tust, dann für deinen Vater,
den Horket getötet hat, oder wenigstens für Yaman Aryak und deine Sgerbrüder, die dieser Mann ins Verderben stürzte.«
Aus den letzten Worten seines ehemaligen Lehrers hörte Awin viel Bitterkeit heraus. War es das, was Curru antrieb? Der Gedanke an Yaman Aryak und die anderen Gefallenen, die ja auch gestorben waren,
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