Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Volk zur Hälfte aus Eis besteht?«, wandte sich Isgi jetzt spöttisch an Awins Begleiterin.
Merege antwortete nicht.
»Vielleicht sollten wir dich verbrennen, um zu sehen, ob diese Gerüchte stimmen.«
»Du kannst es versuchen, Hakul«, sagte Merege ruhig. Ihr Blick wirkte nach innen gekehrt.
»Man sagt, du habest Zauberkräfte, Kariwa, doch konnte mir keiner sagen, welcher Art diese Kräfte sein sollen. Von zerbrochenen
Schwertern war die Rede, gerissenen Bogensehnen, aber ich glaube, Curru hat nur eine weitere Lüge in die Welt gesetzt, um seine Gegner zu verwirren.«
»Glaube, was du willst, Isgi«, erwiderte Merege leise.
Awin konnte spüren, dass sie sich sammelte. Schreie tönten vom Kampfplatz, lauter als zuvor. Kamen sie vielleicht zu spät? Isgi gab seinen Männern einen Wink. Sie kamen auf Merege und Awin zu. Isgi hielt plötzlich einen Beutel in der Hand. »Ich hatte schon früher mit Zauberern zu tun, mit mächtigen und erfahrenen Maghai, nicht mit solchen Kindern wie dir, Kariwa. Ich weiß, dass eure Kunst auf Täuschung und Verwirrung beruht. Ihr könnt einen Mann mit seinen eigenen Gedanken töten, doch einer der Maghai hat mir diese Kräuter offenbart, die mich vor deinesgleichen schützen. Versuche es also gar nicht erst, Mädchen. Gib auf, und ich werde dir einen schnellen Tod gönnen. Vielleicht werde ich dich auch gar nicht töten, sondern auch nur als Sklavin an die Akkesch verkaufen.«
Ein Schrei stieg aus hunderten von Kehlen auf. War der Kampf entschieden? Einer von Isgis Männern zog sein Schwert. Merege streckte ihre Hand aus. Die Männer zögerten. Awin ließ die Zauberin nicht aus den Augen. Gebannt beobachtete er, wie sie sich sammelte und ihre schmalen Lippen die Worte flüsterten, die er schon einmal gehört hatte: »Uo jega! Kaiwin Milnar! Uo jega!« Sie beschwor den Totengott.
Isgi lachte abschätzig und hielt den Beutel in der Hand höher. Doch dann gefror sein höhnisches Grinsen. Sein Gesicht begann, sich zu einer grauenvollen Fratze zu verzerren.
»Uo jega! Kaiwin Milnar! Uo jega!«
Die Augen von Horkets Seher traten aus den Höhlen, und ein Stöhnen entrang sich seiner Brust. Awin sah gebannt zu, er konnte den Blick nicht abwenden. Isgi zitterte, taumelte, tat noch einen Schritt und brach mit einem Ächzen zusammen.
Die beiden Krieger starrten schreckensbleich auf den fallenden Seher. Plötzlich wandte sich Merege dem Jäger zu, streckte die Hand nach ihm aus und rief: »Kaiwin Milnar!«
Ein gleißender Blitz zerriss den Nebel. Geblendet schloss Awin die Augen. Er sah gerade noch, wie der Jäger von einer leuchtenden Kraft viele Schritte durch die Luft geschleudert wurde, bevor er tot auf dem Boden aufschlug. Krähen stiegen über den Zelten auf. Merege wandte sich dem anderen Krieger zu, der sie nur ungläubig anglotzte. Awin blinzelte. Er hatte den Blitz gesehen. Aber es gab keinen Donner. Dafür schrien und brüllten die Männer am Steinkreis umso lauter. Der Zweikampf schien immer noch nicht zu Ende zu sein. Merege streckte noch einmal die Hand aus. Der Krieger starrte auf die Finger, die auf ihn zeigten, ließ sein Schwert fallen, drehte sich um und lief. »Kaiwin Milnar« , hauchte Merege. Wieder spaltete ein Blitz lautlos die Luft, traf den Flüchtenden und warf ihn gegen ein Zelt, wo er stöhnend zusammenbrach. Merege ließ die Hand sinken. Sie zitterte am ganzen Leib, und ihre Augen leuchteten weiß, alle Farbe war daraus gewichen. Sie lief dem Mann nach, und ehe Awin begriff, was geschah, rammte sie ihm ihr Schwert in den Leib. Dann drehte sie den Krieger auf den Bauch und stellte sich auf seinen Rücken. Sie reckte ihren Arm ungefähr in Richtung des Kampfplatzes und flüsterte Worte, die Awin nicht hören konnte. Ein vielstimmiger Schrei erklang vom Kampfplatz, ein zweiter, dann wurde es totenstill, ein Raunen lief durch die Menge, dann lautes Rufen, und schließlich ertönte lauter Jubel: »Eri! Eri! Eri!«
Merege stieg von dem Leichnam herab, beugte sich zu dem Toten und flüsterte ihm etwas zu. Dann kam sie mit unsicheren Schritten auf Awin zu. Ihre Augen waren immer noch schneeweiß, keine Spur von Blau war zu sehen. »Nimm ein Schwert und durchbohre die anderen. Dann bring mich von hier weg«,
flüsterte sie heiser. Awin tat, was sie verlangte. Er begriff, dass es nach einem normalen Kampf aussehen sollte. Als er Merege aus dem Lager führte, musste er sie stützen. Hinter ihnen war Tumult ausgebrochen. Der Zweikampf war entschieden, und Eri hatte
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