Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Heredhans, und einige Heiler sind bei ihm. Mich hat er fortgeschickt«, entgegnete Wela mit finsterem Blick.
»Wie schlimm ist es?«
»Er wird seine Linke einige Zeit nicht gebrauchen können«, sagte Tuge. »Horket hat - wie du ja gesehen hast - seinen Schild zerschmettert und seinen Unterarmknochen gleich mit. Etwas Blut hat er auch verloren, bevor er Horkets Blut nehmen konnte, aber er wird es überstehen.«
»Ich nehme an, Curru ist bei ihm?«
»Der Lichtstein auch«, meinte Wela mit einem vielsagenden Blick.
»Und was wird jetzt geschehen?«
»Was wohl?«, antwortete Tuge mit einem Achselzucken. »Sie werden Eri auf den Schild heben. In drei Tagen, denn so lange dauern die Rituale der Vorbereitung.«
»Drei Tage?«, fragte Awin entsetzt.
»Es würde mich wundern, wenn es so schnell ginge«, meldete sich Harmin zu Wort, der sich ihrer kleinen Gruppe unaufgefordert angeschlossen hatte. Er schlug Awin auf die Schulter. »Ich sollte wirklich beleidigt sein, denn Kuandi ist meine liebste Enkeltochter und wird gerühmt für ihre Schönheit, doch bewundere ich deine Kühnheit, Awin vom Klan der Schwarzen Dornen. Ich bin sicher, Horket hätte dir den Kopf abgerissen, wenn er nicht eben über Eri gestolpert wäre. Übrigens, wenn du es einmal leid bist, ganz allein in deinem Klan zu
leben, dann wärest du mir immer noch willkommen als Schwiegerenkel - und auch auf dich, Wela, warten zwei Bewerber, wie du weit und breit keine anderen finden wirst.«
»Kannst du nicht aufhören, deine Enkelkinder anzupreisen, als seien sie Rinder auf einem Viehmarkt der Budinier?«, rief Wela ungehalten aus.
Harmin grinste sie an. »Ich biete sie nicht jedem an, Wela, Tuwins Tochter. Du solltest dich also geehrt fühlen.«
»Tue ich aber nicht!«
Harmin wurde plötzlich wieder ernst. »Habt ihr es schon gehört? Die beiden Söhne Horkets sind festgenommen worden. Eri behauptet, sie hätten versucht, ihn mit Isgis Hilfe zu vergiften.«
Harmin hatte das so laut gesagt, dass auch Werek und die anderen Anführer es hören konnten. »Er hat sie festnehmen lassen? Es sind freie Hakul. Er wird beweisen müssen, was er behauptet«, rief Werek finster herüber.
»Es ist möglich, dass er das schon getan hat, denn er ließ sie den Krug leeren, den man ihm vor dem Kampf als Opferbecher anbot. Jetzt winden sie sich auf dem Boden wie tolle Hunde. Ich glaube nicht, dass sie den Tag überleben.«
Die Nachricht, dass Horkets Söhne im Sterben lagen, lief bald wie ein Lauffeuer durchs ganze Lager. Die Umstände erschütterten die Anhänger Horkets aufs Tiefste. Gift? Das war eines Hakul, vor allem eines Heredhans, unwürdig. Awin jedoch machte sich seine eigenen Gedanken. Das Gift im Opferbecher konnte nicht sehr stark gewesen sein, schließlich sollte es Horkets Gegner nur ein wenig schwächen, nicht umbringen. Jetzt tötete es zwei Männer? Irgendjemand musste nachgeholfen haben.
Aus diesen düsteren Gedanken wurde Awin durch einen jungen Krieger gerissen. Er brachte Nachricht von Kluwe. Der
alte Seher wollte ihn sprechen. Awin konnte förmlich sehen, wie ihn diese Einladung in der Achtung der anderen Krieger steigen ließ. Er ließ sich sogar etwas Zeit, bevor er dem Boten folgte. Dies jedoch weniger um die Männer zu beeindrucken, sondern eher um sich auf das Gespräch vorzubereiten. Er hatte viele Fragen und bezweifelte, dass Kluwe lange genug wach bleiben würde, um sie alle zu beantworten. Im Zelt des Alten herrschte trübes Dämmerlicht. Kluwe saß in seinem Sessel, und es war schwer zu erkennen, ob er wach war oder schlief. Aber der Krieger, der seine Stimme war, stand neben ihm und begrüßte Awin freundlich: »Du wirst dich fragen, warum ich dich hergebeten habe, junger Seher. Ich will dir nur sagen, dass ich weiß, was du getan hast. Ich weiß aber auch, was Isgi getan hat.«
»Wirst du es den anderen sagen, ehrwürdiger Kluwe?«, fragte Awin.
Die Stimme gab die geflüsterten Worte ihres Meisters wieder: »Nein, denn es würde nichts ändern. Curru wird Eri auf den Schild heben. Es ist nur noch die Frage, wie viel Blut er dafür vergießen muss. Es ist ihm bestimmt, so wie es einst Horket bestimmt war, den Schild zu besteigen. Auch das war unausweichlich.«
»Hast du deshalb meinem Vater nicht beigestanden?«
Der Alte lachte heiser, dann übermittelte sein Sprecher seine Antwort: »Er war genauso uneinsichtig wie du, junger Seher.«
Awin runzelte die Stirn. Viele Hakul glaubten an die Unausweichlichkeit des Schicksals.
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