Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
ihn gewonnen.
Verräter
MEREGE HOCKTE ZITTERND am Wasser. Sie hatte Awin den Rücken zugekehrt und wusch sich unaufhörlich Gesicht und Hände. Er blickte zurück zu den Hügeln. Halb rechnete er damit, dass dort oben Hakul auftauchen würden, die nach den Mördern von Isgi und seinen Männern suchten, aber nur der Lärm vieler Stimmen drang über den Hügelkamm. Tausend Gedanken beschäftigten ihn: Im Ahnental geschahen große Dinge - Dinge, die er verursacht hatte. War es nicht das, was der alte Kluwe gesagt hatte? Der Krieger, der kein Krieger ist, wird große Veränderung bringen? Das war nun eingetreten. Er fragte sich, warum Kluwe geschwiegen hatte, als Curru seinen Seherspruch so unglaublich zurechtgebogen hatte. Verfolgte er eigene Ziele, oder wollte er sich einfach nur heraushalten? Er hatte Awins Vater im Stich gelassen, als dieser sich gegen Horket gestellt hatte, und auch jetzt gab es kein Zeichen, dass er sich auf irgendeine Seite schlagen würde. Nun konnte Eri vermutlich Heredhan werden. Ob Kluwe das auch für so schicksalhaft und unvermeidlich hielt wie damals den Aufstieg Horkets?
Awin hatte seine Zweifel. Wenn er Merege nicht überzeugt hätte, würde der alte Heredhan immer noch auf seinem steinernen Stuhl sitzen. Nichts war so unausweichlich und vorherbestimmt, wie Kluwe zu glauben schien. Doch was jetzt? Würde Eri tun, was erforderlich war? Eri musste den Heolin nutzen und Slahan hinterherjagen mit so vielen Kriegern wie nur möglich. Dann konnten sie mit Mereges Hilfe die
Gefangenen vielleicht retten. Vielleicht. Awin sah den schmalen Rücken des zitternden Mädchens. Als sie mit Isgi gekämpft hatte, war sie ihm groß und schrecklich erschienen, jetzt wirkte sie erschöpft und zerbrechlich. »Was hast du zu dem gefallenen Krieger gesagt?«, fragte er schließlich, um das Schweigen zu beenden.
Merege schöpfte sich immer noch eiskaltes Wasser ins Gesicht. Jetzt hielt sie inne. »Ich bat ihn um Verzeihung, da ich die Würde seines Todes verletzt habe. Aber ich musste über die Menge blicken und sehen, wo genau Horket war.«
Eine Schar Krähen schoss krächzend durch den Nebel. Es schien lichter zu werden. Awin konnte die blasse Sonnenscheibe erahnen.
»Du hast es geschafft«, stellte Awin vorsichtig fest.
Sie drehte sich um. Ihre blassblauen Augen waren wieder da, das unheimliche, leuchtende Weiß war verschwunden. Sie wirkte bedrückt. »Ich musste drei Männer töten, vier, wenn ich Horket mitrechne, den mein Eingreifen zum Tode verurteilte, und das alles für diesen Knaben, der sich nun bald Heredhan nennen wird.«
»Es tut mir leid, dass ich dich darum bitten musste. Ich sah keinen anderen Weg. Aber ich glaube, es wird nicht so leicht gehen, wie Curru denkt. Du kannst hören, wie sie sich streiten. Horket hatte viele Anhänger. Und er hat Söhne. Sie werden Eris Anspruch anfechten.«
Merege erhob sich. Sie sah Awin ernst in die Augen und erklärte: »Wenn wir nicht spätestens morgen aufbrechen, um Slahan zu verfolgen, junger Seher, werde ich tun, was getan werden muss.«
Er sah kalten Zorn in ihren Augen und nickte. »Und ich werde noch vor dir im Sattel sitzen, Merege - mit oder ohne Eri. Doch wir müssen vorsichtig sein. Isgis Tod wird viele Fragen
aufwerfen. Die Haare und Kleider des Jägers, den du getötet hast, waren angesengt. Das werden sie nicht übersehen. Der eine oder andere wird vielleicht erraten, was geschah.«
»Ich weiß«, erklärte Merege ruhig. »Wie ich die Hakul kenne, würde es sie kaum kümmern, dass Isgi uns so heimtückisch auflauerte, da ich es war, eine Fremde, die ihn tötete.«
Awin nickte. Seine Sorge war jedoch eine andere. Eri hatte den Kampf mit dem Heredhan gewonnen. Doch er stand noch lange nicht auf dem Schild. Der Klan des Schwarzen Grases war groß und mächtig, und Horkets Söhne würden sicher alles tun, um Eris Aufstieg zu verhindern. Und wenn Eri mehr sein wollte als ein Heredhan mit drei Kriegern, musste er die Unterstützung anderer Sippen gewinnen. Einige würden ihm vielleicht folgen, denn er hatte einen Kampf unter den Augen der Götter gewonnen. Aber sie würden trotzdem wissen wollen, wer Isgi und seine beiden Gefolgsleute getötet hatte. Würde Eri Merege schützen? Vielleicht würde er die Möglichkeit sogar nutzen, sie loszuwerden, denn er wusste nur zu gut, wie gefährlich die Kariwa war. Und er hatte am Vorabend schon seine Gedanken ausgesprochen: Auch eine mächtige Zauberin musste gelegentlich schlafen.
Awin teilte
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