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Der Sohn des Sehers 03 - Renegat

Titel: Der Sohn des Sehers 03 - Renegat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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dem tiefen, schwarzen Frieden. Etwas rauschte, in gleichmäßigen, wiederkehrenden Wellen. Awin wusste, dass es das Meer war. Es war klug von euch, die Kerze aufzustellen , lobte eine bekannte Stimme.
    Seit fünf Tagen entzündet sie die Schmiedin in jeder Nacht. Und du sagst, er ist bei dir?
    So ist es, Ahntochter.
    Nenn mich nicht so, Abtrünnige!

    Aber wie sollte ich dich sonst nennen, Merege von den Kariwa?
    Nicht du bist die Mutter unseres Stammes, sondern Senis , lautete die zornige Antwort.
    Awin runzelte unwillig die Stirn. Warum stritten sie? Warum störten sie seinen Frieden? Konnten sie nicht damit aufhören?
    »Aufhören«, krächzte er.
    »Bei Mareket - er ist zurück!«

Eismeer
    ALS AWIN SICH aufsetzte, sah er in viele besorgte Gesichter. Sein Kopf dröhnte, und er fühlte sich elend. Es rauschte in seinen Ohren. Er schüttelte den Kopf, aber das Rauschen blieb. Die Luft roch nach Feuer - und Salz. Eine geborstene Lehmwand gab den Blick frei auf das Meer. »Wo bin ich?«, fragte er verwirrt.
    »Marschland nennen sie es, mein Junge«, sagte Tuge.
    Awin versuchte aufzustehen. Die Beine versagten ihm den Dienst, so dass Mabak herbeispringen musste, um ihn zu stützen. Awin starrte hinaus auf das wogende, graue Meer. Etwas stimmte nicht. Er stand in einem zerstörten Haus. Das Dach war eingestürzt und teilweise verbrannt. Auch die geborstene Mauer war schwarz. Awin schleppte sich bis zur Lücke. Das Meer hatte sie eingeschlossen. Zwei niedrige grüne Kuppen ragten über das Wasser, aber sonst war das Land verschwunden. Awin hörte Pferde schnauben. Da waren Männer, Hakul. Noch hatte er Schwierigkeiten, die Bilder, die er sah, zusammenzusetzen. Noch einmal schüttelte er den Kopf. Wild wirbelten seine Gedanken durcheinander: Der Seelenverweser, die brennende Stadt, seine Flucht, die Xaima, jemand hatte geweint, das gleißende Licht, der Reiter in der Ebene. Awin zuckte bei der Erinnerung noch einmal zusammen. Wieder schüttelte er sich und betastete vorsichtig die Lehmwand. Sie war fest, und er hoffte, sie würde sich nicht gleich auflösen oder in einen Wald oder einen unheimlichen Gang verwandeln. Ganz langsam begriff er, dass er wirklich zurückgekehrt war. Das Meer,
die Pferde, die Männer, das Haus, das alles würde bleiben. Er hatte die Ebene des Geistes hinter sich gelassen. Aber er war auf einer Insel. Wie war das möglich? »Wie bin ich hierhergekommen?«, fragte er.
    Mabak kratzte sich am Kopf. »Das ist schwierig zu beantworten, Yaman. Deinen Leib haben wir hierhergebracht, auf deinem Pferd. Dein Geist war jedoch für Tage fort, und wenn ich es richtig verstehe, hat diese unheimliche Frau ihn zu deinem Leib geführt.«
    Norgis! Hatte er sie nicht eben mit Merege streiten hören? Er trat durch die Mauerlücke hinaus. Die beiden Frauen standen am Wasser. Jetzt wandten sie sich ihm zu.
    »Sieh, er ist unbeschadet. Ich habe ihm nichts getan, Wächterin.«
    »Und das Zeichen?«, fragte Merege.
    »Es dient nur seinem Schutz, wie du eigentlich wissen müsstest.«
    Zeichen? Eine Erinnerung drängte sich nach oben. Awins Hand fuhr zur Brust, und er riss sein Gewand auf. Da war ein handtellergroßer Kreis, und in seiner Mitte ein schwarzer Punkt auf seine Haut gemalt. Mit den Fingern fuhr er darüber. Nein, das war nicht gemalt. Es war tätowiert, wie die Sichel über Mereges Jochbein.
    »Es erschien aus dem Nichts, vor zwei Tagen, Yaman«, erklärte Mabak flüsternd. »Wela wollte es abwaschen, obwohl die Kariwa ihr gesagt hat, dass das nicht möglich ist.«
    »Du hättest ihnen ruhig sagen können, dass es ihm keinen Schaden zufügt, Ahntochter«, stellte Norgis fest.
    Merege biss sich auf die blassen Lippen und sagte dann: »Es steht dir nicht das Recht zu, mich so zu nennen, Abtrünnige.«
    »Aber ich sehe doch, dass mein Blut in deinen Adern fließt, junge Wächterin, auch wenn viele Alter vergangen sind, seit ich
deinem ersten Vorfahren das Leben schenkte. Ob du es leugnest oder nicht, ich bin deine Ahnmutter, Merege, und ich bin nicht deine Feindin.«
    »Aber vielleicht bin ich die deine, Norgis«, gab Merege aufgebracht zurück.
    »Bitte«, sagte Awin und hob die Hand, um den Streit zu schlichten. »Ich verstehe immer noch nicht, was hier geschieht, oder was geschehen ist. Ich habe auf meiner Reise viele Dinge gesehen und nicht alles verstanden. Und nun stehe ich in den Trümmern eines Hauses, mitten im Meer, und begreife nicht, wie ich - wie ihr - hierhergelangt seid.«
    Norgis lachte leise,

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