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Der Sohn des Sehers 03 - Renegat

Titel: Der Sohn des Sehers 03 - Renegat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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riss jetzt der Strom der Besucher fast nicht mehr ab, und ruhige Stunden wie diese waren selten geworden.
    Durch die schmalen Fensterschlitze des großen Hauses drangen laute Stimmen. Baldim lauschte, aber er kannte den Redner nicht. Vermutlich hielt wieder irgendein Yaman eine wichtige Ansprache. Seine Miene verdüsterte sich. Seit dem Mittag saßen sie schon dort drin, die Yamane, die Seher, die Deuter des Orakels. Und dann war da noch dieser Heredhan der Schwarzen Hakul. Nach Baldims erstem Eindruck war er nur ein verzogener Knabe, den er nicht einmal in seinem Sger geduldet hätte, jedenfalls nicht unter den Yamanoi. Es hieß aber, er habe Großes vollbracht, er habe eine Göttin besiegt und zuvor auch den berühmten Heredhan Horket im Zweikampf getötet. Letzteres war immerhin eine beachtliche Leistung, wie der alte Krieger anerkannte. Es wurde auch erzählt, dass der Junge, nachdem seine Sippe ihn auf den Schild des
Yamans gehoben hatte, diesen genommen und mit bloßer Faust zerbrochen habe, angeblich mit den Worten, ihm sei ein größerer Schild bestimmt. Eri Schildbrecher nannten sie ihn deshalb. Es war eigentlich eine gute Geschichte, und der Wächter hätte gern mehr erfahren, aber seine Leute wurden wortkarg, wenn man sie darauf ansprach. Schwarze Hakul. Für Baldims Geschmack waren viel zu viele der Schwarzmäntel in der Stadt. Er wanderte noch einmal vor dem Tor auf und ab und stützte sich dabei auf den Stiel seiner großen Axt, um sein schmerzendes Bein zu entlasten. Das war mehr als Nebel, was seine Knochen da ankündigten, ohne Zweifel. Missmutig blickte Baldim auf die Nebelbank, die sich den Berg hinaufschob.
    Der Knabe hatte den Heolin, das war nicht zu vergessen. Baldim selbst hatte den Stein leuchten sehen, und dieser Anblick hatte ihn, den hartgesottenen Kämpfer vieler Schlachten, tief berührt. Er hätte nie für möglich gehalten, dass seine alten Augen einmal den berühmten, wundermächtigen Stein sehen würden, den einst der große Etys vom Wagen des Sonnengottes geraubt hatte. Leider zog dieser Stein auch die Yamane und Krieger aus dem ganzen Land an. Sie kamen von den Weiden und wollten ihn selbst sehen, den Lichtstein. Der Wächter spuckte wieder aus. Lichtstein hin oder her: Seiner Meinung nach nutzte der Heredhan die Gastfreundschaft seines Stammes aus. Unter Tiudhan Liwin hätte es das nicht gegeben. Aber der Tiudhan war tot und sein einziger Sohn schwachsinnig, und bei aller Achtung vor dem Blut, er kam als Nachfolger nicht in Frage. Und jetzt saßen sie dort seit Tagen und berieten. Yaman Dheryak führte die Verhandlungen mit den Klans. Ein guter Mann, sie waren zusammen geritten. Dheryak hatte einen Arm in der Schlacht verloren und war dennoch zum wichtigsten Ratgeber des Tiudhan aufgestiegen. Jetzt schlug er sich mit den Klans herum, die sich nicht auf einen Anwärter
einigen konnten - oder wollten. Zwei mögliche Bewerber gab es, gute Männer aus alten, angesehenen Sippen, entfernte Verwandte des Tiudhan. Wenn sie sich wirklich bewarben, würden es schnell arme Sippen werden, das wusste der Wächter. Die Yamane würden Geschenke erwarten, bevor sie bereit waren, einen der Bewerber auch nur als möglicherweise würdig in Betracht zu ziehen. Früher waren solche Dinge durch den Dolch entschieden worden.
    Baldim streckte sich erneut. Sein Bein quälte ihn. Er hinkte ein paar Schritte auf und ab. Es wurde Zeit, dass die Sonne unterging und seine Ablösung erschien. Der Schmerz war inzwischen eine schlimme Plage, aber das verfluchte, das nutzlose, das steife Bein hatte ihn noch nie getäuscht. Irgendetwas lag in der Luft, oder vielleicht auch im Nebel, der nach und nach die Häuser verschlang. Wie eine Wand rückte er näher. Baldim runzelte die Stirn. Er blickte nach Osten. Dort war der Himmel immer noch strahlend blau, und die zerrissenen Wolken flossen um die Flanken der hohen Berge, und irgendwo dahinter weiter bis zum Rand der Welt. Er hatte bei seinen langen Wachdiensten oft darüber nachgedacht, was geschah, wenn sie den Rand erreichten. Es hieß, sie lösten sich in einem undurchdringlichen Gewölk auf, das das Ende der Welt den Blicken der Menschen entzog, aber er hatte noch nie jemanden gefunden, der das Sonnengebirge überquert und es selbst gesehen hätte. Der große Etys sollte dort gewesen sein.
    Der Wächter drehte sich um. Die Umrisse der nächsten Rundhäuser verschwammen schon im Dunst. Jetzt waren sie noch leichter mit den Zelten der Hakul zu verwechseln. Baldim

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