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Der Sohn des Sehers 03 - Renegat

Titel: Der Sohn des Sehers 03 - Renegat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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ihn aus der Stadt. Ein Floß. Ein Mädchen weinte. Und vom Land drang das Gebrüll und Geschrei der untergehenden Stadt. Alles schien in weißen Flammen zu verbrennen, selbst das Wasser. Awin schlug mit den Armen, um nicht unterzugehen. Aber der Fluss war fort, er stolperte zwischen brennenden Balken umher. Awin zitterte, sein ganzer Leib bebte. Er versuchte, sich zusammenzureißen, denn er spürte, dass sein Geist am Rande des Wahnsinns entlangtaumelte. Die Sonne, es ist nur die Sonne, die mich verbrennen wird, wenn ich länger hierbleibe , dachte er. Schatten. Ich brauche Schatten. Wald! Wieder fand er sich zwischen hohen Stämmen wieder. Und er rannte. Wie lange konnte er das durchhalten? Er hörte Uqib durch den Wald brechen. Dicht hinter ihm knickte er mächtige Stämme wie Schilfstängel. Norgis , dachte er. Natürlich, er war in ihrem Wald. Sie musste hier irgendwo in der Nähe sein. Er rief ihren Namen. Uqib hinter ihm lachte. Merege , dachte er und stolperte plötzlich durch Wasser. Es wogte ihm bis zur Hüfte. Der Wald war fort, und ein totes Pferd trieb an ihm vorüber. Er blieb stehen. Sein Herz raste, seine Lungen brannten, er war erschöpft. Das Meer, er war am Meer. Aber auch die See schien in Flammen zu stehen. Es ist nur die Sonne , mahnte er sich zur Ruhe. Norgis . Das Meer verschwand.
    Er fand sich in jener Behausung wieder, die er schon einmal betreten hatte.
    »Du kommst ohne Einladung, Hakul«, sagte eine zornige Frauenstimme.

    Awin nickte. Seine Augen brannten. Er konnte Norgis nicht sehen.
    »Und du bringst einen ungeladenen Gast mit«, sagte sie. Der Boden erzitterte. »Schnell, tritt in den Kreis.« Awin erahnte eine leuchtende Linie, die einen Kreis in der Mitte der Hütte beschrieb. Er wollte sie überschreiten, aber er konnte es nicht. Die unsichtbare Norgis lachte. »Auf dieser Seite, Dummkopf.« Dort gab es eine winzige Unterbrechung. Awin überschritt den Kreis, und die Linie schien sich von selbst zu schließen. »Hättest du meine Zeichen nicht abgewaschen, könnte dein Verfolger dich auch nicht finden, junger Narr«, sagte die Frauenstimme. Die Hütte erbebte. Uqib tauchte aus dem Nichts auf. Seine riesige Gestalt füllte den ganzen Raum.
    »Du bist nicht willkommen«, sagte Norgis.
    »Wieder du, Weib? Wieder stellst du dich Uo in den Weg?«
    »Du bist nicht Uo«, lautete die schlichte Antwort.
    »Er hat mir eine Aufgabe gegeben. Ich handle in seinem Namen!«
    »Ist das so, Seelenverweser?«, fragte Norgis.
    »Warum zeigst du dich nicht, Hexe?«, zischte der Seelenverweser wütend.
    »Ich bin nicht so dumm wie dieser Seher, der sich seinen Feinden offenbart, wo es besser für ihn wäre, unsichtbar zu bleiben.«
    »Ich habe Zeit, Hexe. Irgendwann muss er diesen Kreis verlassen.«
    »Oh, mit Sicherheit muss er das, Uqib. Aber wenn es so weit ist, werde ich ihn führen und behüten.«
    »Ich werde hier sein und warten, dass du fehlgehst!«, drohte der mächtige Schatten.
    »Geh oder bleib, Diener des Todes, es ist mir gleich. Und du, Seher, solltest ruhen.«

    Awin spürte eine Berührung auf der Stirn. Und plötzlich war es still, das Brennen schwand, und es wurde dunkel. Schlief er? Träumte er? Sanfte Flötentöne drangen heran, und dann wieder markerschütterndes Wolfsgeheul. Er fühlte die Erde beben, und er hörte ein durchdringendes Flüstern. Jemand drohte ihm. Ein Schatten zog über sein Gemüt. Sein Geist kämpfte gegen diesen eigentümlichen Schlaf der Seele an. Der Seelenverweser, er wollte ihn töten. »Kämpfe dagegen an«, riet ihm eine leise Stimme.
    Awin zitterte. Kälte durchdrang ihn, dann Hitze. Einmal war ihm, als würde er Haut auf seiner Haut spüren. Aber er war doch nicht mehr als eine zitternde Seele, verloren in der Dunkelheit. Dann folgte eine lange, tödliche Stille.
    »Komm, ich zeige dir den Schlaf des Todes«, zischte es kalt.
    »Nein, ich verbiete es!«, sagte eine andere Stimme.
    Awin sank tiefer. Nach der gleißenden Helligkeit der Sonne war ihm das tiefe Schwarz, in das er sank, willkommen. Kurz zuckten noch einmal die Bilder von Kampf und Tod und von einer brennenden Stadt durch seinen Geist - aber es berührte ihn nicht mehr. Er fühlte sich auf einmal schwach und ermattet, aber er wusste, es war nur noch ein winziger Schritt, und er würde für immer ruhen. Er sank noch tiefer in die weiche Finsternis. Plötzlich leuchtete ein Licht. Klein, aber störend. Awin runzelte die Stirn. Gerne hätte er diese Flamme gelöscht. Sie stand zwischen ihm und

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