Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
Wand neben der hinteren Tür. Awin trat näher heran. Für einen Augenblick glaubte er, Mahuk Raschtar säße dort, aber dann erkannte er seinen Irrtum. Es war ein Ussar, ohne Zweifel. Er kauerte am Boden, die Arme um die Knie geschlungen, den Kopf in den Armen verborgen. Awin sah Ketten aus Tierknochen, mit denen sich der Unbekannte geschmückt hatte. Er sah noch einmal hin. »Yeku?«, fragte er unsicher.
Der Fremde hob den Kopf und funkelte ihn böse an.
»Schnell, sag Mahuk, dass die Boote brennen. Und in der Stadt wird gekämpft! Du musst ihn warnen, hörst du!«
Aber Yeku schnaubte nur, und dann lehnte er sich zurück und lachte leise. Er sah zufrieden aus.
»Yeku! Die ganze Stadt brennt. Wir könnten alle im Feuer sterben - auch du!«, rief Awin. Er hatte eine plötzliche Eingebung: »Sag ihnen, sie sollen sich im Tempel verschanzen. Er ist aus Stein. Hier ist es sicher, sag ihnen das, Yeku!«
Das Lachen des Geistes erstarb, seine Miene veränderte sich. Awin sah Angst in seinen Augen aufflackern. Es rauschte in seinem Rücken. Awin spürte einen Hauch von Kälte. Er drehte sich vorsichtig um. Finsternis senkte sich über den Tempel, ballte sich in seiner Mitte zusammen, und Schatten wie riesige schwarze Flügel entfalteten sich. Awin spürte bleierne Furcht. Der Seelenverweser hatte ihn gefunden.
»Die Gabe, Seher, gib mir die Gabe!«, hauchte er kalt.
Er füllte fast den ganzen Tempel aus und stand zwischen Awin und seinem unbeseelten Körper. Aber er achtete sorgsam darauf, den Kreis, den Awin gezogen hatte, nicht zu berühren.
»Du hast sie mir zurückgegeben und Blut dafür bekommen«, erwiderte Awin.
Uqib zischte. »Pferdeblut nur. Gib mir deine Gabe. Uo will es.«
»Dann soll Uo mir das selbst sagen«, erwiderte Awin. Er fühlte die Wand in seinem Rücken. Brandgeruch und das Geschrei kämpfender Männer wehte durch das offene Dach heran. Die Wand gab nach. Awin taumelte, er drehte sich unwillkürlich um und starrte in ein bodenloses Nichts.
»Gib zurück, was du gestohlen hast, Sterblicher«, forderte Uqib mit dröhnender Stimme.
Sie waren an seinem Schwarzen Tor. Da war der riesenhafte, zur Hälfte eingestürzte Bogen, die flachen Stufen - und sonst nichts. Die Wüste war verschwunden, die Türme ebenso. Das Tor ruhte auf seinen Stufen über endlosem, grauenhaftem Nichts.
»Gib es zurück, oder bleib und leide!«, drohte der Seelenverweser. Er beugte sich zu Awin hinab und streckte seine knochige Hand aus. Awin wich zurück. Er musste hier weg! Er schloss die Augen. In der Welt der Sterblichen hatte Uqib keine Macht über ihn. Er öffnete die Augen vorsichtig wieder. Da lag die Stadt Karno vor ihm in der Ebene. Sie brannte. Feuer sprang vom Hafen in die Stadt. Hinter ihm rauschte es. Uqib verfolgte ihn! Awin rannte los. Ein fernes Donnergrollen sagte ihm, dass die Sonne bald aufgehen würde. Da war ein kleines Licht, gar nicht weit. Eine Kerze, die dort in der Ebene brannte. Daneben lag eine leblose Gestalt. Awin begriff,
dass es seine Kerze war, und er hielt sich nicht mit der Frage auf, warum er nun hier in der Ebene und nicht im Tempel war. Karno war verschwunden. Er hörte Meeresrauschen und darüber den Donner der aufgehenden Sonne. Noch wies ihm die Kerze den Weg. Dann flackerte sie. Ein riesiger Schatten schob sich zwischen Awin und das kleine Licht, das ihm den Weg zurück zu den Lebenden wies - Uqib. Der Seelenverweser lachte heiser, dann löschte er die kleine Flamme. Die Welt versank in Finsternis und Stille.
Awin packte das Entsetzen. Uqib hatte ihm den Rückweg abgeschnitten. Schnell, hebt ihn auf , rief eine Stimme. Finsternis und Stille? Nein, die Welt zerbarst in Feuer und in Lärm. Awin drehte sich um und rannte. Er rannte durch eine verwinkelte Gasse voller Menschen. Es wurde gekämpft. Da waren Reiter, die Männer niederritten, und Krieger, die von ihren Pferden gerissen wurden. Awin sah einen wütenden Akradhai, der im Schein einer brennenden Hütte auf ihn losstürmte und ihn mit einer Heugabel durchbohrte. Aber er spürte nichts. Wo ist Jeswin? , rief jemand. Awin sah Tuge und Karak, die einen leblosen Körper auf den Platz hinaustrugen. Es war sein eigener. Dann umfing ihn wieder Finsternis. Ein Wald. Awin stolperte über Wurzeln, und hinter ihm brach sich der Seelenverweser die Bahn. Uqib jagte ihn. Und Awin wusste, wenn er ihn einholte, würde seine Seele für immer auf der anderen Seite bleiben. Es donnerte. Die Sonne ging auf, und blendende Helligkeit brannte
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