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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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lagen missfarbene Schatten, und sein Bart war so zerrauft und filzig, dass er die halbe Nacht an ihm gezerrt haben musste. Er sagte nicht, was er von meiner schlechten Laune hielt, und so blieb es mir erspart, mit einer weiteren bissigen Antwort unsere Freundschaft nochmals auf die Probe zu stellen.
    »Ich bin dir dankbar, dass du mitkommst«, sagte er nur.
    »Das muss jetzt mal wieder aufhören. Meine Familie hält mich für den rücksichtslosesten Mistkerl seit Friedrich Barbarossa.«
    »Wie Recht du hast, Peter, wie Recht. Das muss jetzt aufhören. Aber nur der Herr Davids und Salomos weiß, wann.«
    Rebecca Fiszel stand schon in der halb offenen Tür und rang die Hände, als sie uns herankommen sah. Sie war eine kleine, kugelrunde Person mit einem jung gebliebenen Gesicht und normalerweise so strahlenden Apfelbäckchen, dass man sichnur mit Mühe zurückhalten konnte, hineinzukneifen. Wenn sie ihrem Mann bis zum Bauchnabel reichen wollte, musste sie sich recken. Allem Dafürhalten nach konnte so ein ungleiches Paar nicht miteinander bestehen; allem Anschein nach taten sie es bereits seit einer ganzen Generation. Nur Mojzesz’ und Rebeccas jüngste Kinder waren noch im Haus, aber auch sie streckten bereits ihre Flügel. Rebecca drückte sich an mich, als ich sie begrüßte, fasste blind nach der im Türrahmen eingelassenen Mezuzah und strich mir danach über die Lippen. »Der Hüter unserer Tore behüte auch dich, Peter«, flüsterte sie. »Es wird ein Unwetter geben.«
    Ich warf einen Blick über die Schulter in den Himmel, der stahlgrau und vom Morgenrot angehaucht über den Dächern hing und nicht anders aussah als in den letzten Wochen, in denen er regelmäßig fröhliches Sommerwetter spendiert hatte. Vielleicht hatte sie es symbolisch gemeint. »Grüße von Jana und Paolo«, sagte ich, ohne die beiden heute schon gesehen zu haben. Sie nickte.
    Ich hörte Stimmen aus dem Obergeschoss und spähte die Treppe hinauf. Mojzesz steuerte mich jedoch ein paar Schritte weit in den dunklen Gang hinein, der sich nach der Eingangstür auftat.
    »Peter«, sagte er, »ich war gestern von Sinnen, als ich sagte, was ich gesagt habe.«
    »Du hast dich bereits entschuldigt, als dich der heiße Wein wieder ins Leben zurückgebracht hat; nicht, dass es überhaupt nötig gewesen wäre.«
    Er schüttelte den Kopf. »Die da oben werden dir vielleicht nochmals dieselbe Frage stellen. Ich möchte, dass du verstehst. Wenn ich verhindern könnte, dass ein Freund unter meinem Dach gefragt wird, ob er unser Vertrauen überhaupt verdient, dann würde ich es tun. Aber ich kann es nicht.«
    »Wer sind ›die da oben‹?«
    » Seniores unserer Gemeinde, wie ich dir gesagt habe.«
    »Ich dachte, als du mich gebeten hast, mit Laurenz Weigel zu verhandeln, wäre das im Sinn aller gewesen?«
    »Nein, das habe ich allein entschieden.« Ich sah, wie er mich im Dunkel seines Hausgangs musterte. Als ich nichts darauf erwiderte, führte er mich die Treppe in den großen Raum seines Hauses hinauf.
    Die seniores waren zu acht; ich hatte keine Ahnung, ob sie damit vollständig waren oder nicht. Dafür, dass es noch so früh am Tag war, herrschte im Raum eine unziemliche Aufregung. Ich hätte gedacht, derart betagte Herren – Mojzesz war bei weitem der jüngste unter ihnen; ich hatte schon immer den Verdacht gehabt, dass er nur wegen seiner einflussreichen Stellung bei König Kasimir in diesen Kreis aufgenommen worden war – wären in der Morgendämmerung noch etwas träge (so wie ich selbst mich fühlte), aber sie schienen im Gegenteil innerlich auf und ab zu hüpfen. Ich versuchte Joseph ben Lemel auszumachen, aber ich kannte ihn nicht, und unter all den weiß- und silberhaarigen Männern nach einem zu suchen, von dem der junge Samuel sein verächtliches Grinsen geerbt hatte, war vergeblich. Ich nickte ihnen zu, sie nickten zurück; ich hörte Mojzesz’ vom Treppensteigen schweren Atem in meinem Rücken und beschloss, nicht zu warten, bis sie auseinander sortiert hatten, wer zuerst das Wort an mich richten sollte.
    »Sind Sie sicher, dass das Gerücht stimmt?«, fragte ich in die Runde hinein.
    Sie starrten mich überrascht an.
    »Oder hat jemand von Ihnen die Leiche gesehen?«
    »Er ist völlig entstellt«, krächzte einer. »Der Kopf wurde abgeschnitten und verkehrt herum wieder angenäht.«
    »Und die Augen wurden ihm herausgerissen und durch glühende Kohlen ersetzt.«
    »Schwachsinn«, sagte ich. »Jeder von Ihnen hat etwas anderes gehört und

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