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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Hinsicht zu hoch hatte lodern lassen. Die Glocke war laut genug, um das wüste Geschrei des Mobs zu ertränken, nur das Gekeife Avellinos war zwischen den Glockenschlägen zu hören.
    »Sie wollen den Propheten des Herrn mundtot machen!«, geiferte er und schüttelte die Fäuste gegen den Rathausturm. »Volk von Krakau, dort sitzt dein Feind und mästet sich am Blut seiner eigenen Kinder und an deinem Fleisch: Das Geschmeiß aus dem Reich ist es, das dich würgt und dessen Sünden zum Himmel stinken. Volk von Krakau, höre mich: Des Herrn Tag ist nahe im Tal der Entscheidung!«
    Ich spürte das Beben unter den Fußsohlen, bevor das grelle Wiehern sich über den Lärm durchsetzen konnte. Ich griff nach Friedrich von Rechbergs Schulter und riss ihn zu mir herum.
    »Jetzt«, schrie ich in sein totenbleiches Gesicht. Sein Mund arbeitete vergeblich. »Jetzt sollten wir laufen!«
    Die berittene Wache des Rats stürmte mit hocherhobenen Spießen und Schwertern auf die Menge zu. Der Mob strömte kreischend auseinander. Von einem Augenblick zum anderen waren tausend Menschen in alle Richtungen auf der Flucht. Wir taumelten dazwischen, angerempelt von Dutzenden gerade noch in ekstatischem Hass brüllenden und jetzt vor Panik heulenden Vertretern des Volks von Krakau. Die Kavalkade donnerte heran und schwenkte nach links und rechts ab, schien die Flüchtenden einkesseln zu wollen; ich sah die Schwerter der Scharführer, die über ihren Köpfen wirbelten und die Richtungsänderungen befahlen, und die Spieße, die in hocherhobenen Fäusten durch die Luft tanzten. Ein Pferd brach wild um sich schlagend aus der Formation und sprang auf eine Gruppe von Menschen zu, deren Vorderste zurückzuweichen versuchten und von den Nachdrängenden auf die tödlich schlagenden Pferdehufe zugeschoben wurden; der Reiter riss so hart an den Zügeln, dass das Pferd aufschrie und sich auf die Hinterhand setzte und über den Boden schlitterte … die Flüchtenden sprangen an ihm vorbei, ohne dass ihnen ein Haar gekrümmt wurde … das Pferd kämpfte sich auf die Beine und brach gleich danach vorn in die Knie, der Reiter wurde über seinen Hals geschleudert und rollte in eine andere Gruppe Krakauer hinein … brachte ein paar zu Fall; Fäuste erhoben sich, ich sah, dass der Reiter seinen Spieß verloren hatte und die Hände schützend vor sein Gesicht hob … einer der Scharführer preschte herbei und ließ sein Pferd in die Höhe steigen … die Angreifer wichen zurück, der gestürzte Reiter kam taumelnd in die Höhe, Blut im Gesicht … sein Scharführer zerrte ihn bäuchlings vor sich auf das Pferd und sprengte in die nächste Gasse hinein. Jemand zeigte auf den Spieß, und zweiandere stürzten sich darauf und begannen sich darum zu balgen … das gestürzte Pferd hinkte verzweifelt hinter den anderen her … die Rathausglocke läutete Sturm …
    »Das gibt ein Blutvergießen«, stammelte Friedrich von Rechberg, »ein Blutvergießen …«
    »Das erste Blut ist auf Seiten des Rats geflossen«, sagte ich und schob ihn vor mir her.
    »Gott der Gerechten«, ächzte Mojzesz und stolperte willenlos dorthin, wohin ich ihn zerrte.
    Niemand achtete mehr auf uns. Wir erreichten die Mündung der Sankt-Anna-Gasse und wichen einem halben Dutzend sturzbetrunkener Studenten aus, die Holzprügel schwenkten und in den Tumult auf dem Marktplatz einzugreifen planten, sobald sie ihre Gliedmaßen auseinander sortiert hatten. Einer deutete auf uns, und der ineinander verhedderte Rattenkönig versuchte grölend abzuschwenken, brachte keine einheitliche Meinung über die Richtungsänderung zustande und taumelte harmlos weiter auf den Platz hinaus. Ich renkte mir den Hals aus, um zu sehen, was die Reiter taten. Ihr Vorgehen sah planlos und vollkommen vergeblich aus, aber die kleine Szene mit dem scheuenden Pferd hatte genügt, um mir mitzuteilen, dass sie sehr wohl wussten, was sie taten: Sie befolgten den Befehl, um Himmels willen niemanden zu verletzen, wenn sie die Menge auseinander trieben. Der Stadtrat mochte in den Händen verderbter, von ihren schwarzen Seelen zerfressener Patrizier sein, die nicht Polnisch sprachen und stolz auf ihre Herkunft aus dem Reich waren, aber er war nicht wahnsinnig – und er wusste sehr genau, dass ein Tropfen auf dem Markplatz vergossenen Krakauer Blutes die künftige Beziehung zwischen dem Rat und den Krakauern stärker belasten würde als die Eimer voll Beschimpfungen, die Avellino heute ausgegossen hatte. Die Meute vor der Kleinen

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