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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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noch etwas dazu erfunden. So ein Mord unter freiem Himmel muss schnell gehen, da hat man keine Zeit zuSpielereien.« Ein paar von ihnen schluckten trocken und sahen schockiert aus. »Ich wette, das Schlimmste an der Leiche ist der Umstand, dass sie ein paar Stunden im Wasser gelegen hat.«
    »Das Schlimmste ist«, sagte jemand, der blass und übernächtig aussah und nach Mojzesz der nächstjüngere senior zu sein schien, »dass man uns den Mord in die Schuhe schieben wird.«
    »Sind Sie Joseph ben Lemel?«
    Der Mann nickte und deutete eine Verbeugung an.
    »Haben Sie Samuel schon nach Warschau geschickt?«
    »So schnell? Nein, wie sollte ich das anstellen? Außerdem gibt es da ein paar Dinge, die noch nicht entsprechend gewürdigt worden sind. Der Junge sagt nämlich, dass …«
    »Jossele, hör auf …«, rief einer der anderen. Ich hörte, wie sogar Mojzesz Luft holte, um etwas zu sagen. »Was gibt es da noch herumzudeuteln? Der Goj hat doch sogar Zeugen!«
    »Samuel sagt aber …«
    »Samuel muss so schnell wie möglich nach Warschau«, erklärte ich. Joseph ben Lemel unterbrach sich und wollte etwas erwidern, aber ich schnitt ihm das Wort ab. »Nicht zur Strafe, sondern zu seiner eigenen Sicherheit und der Sicherheit des ganzen Judenviertels. Und Sie sollten sich selbst und Ihre restliche Familie besser auch gleich dorthin verfügen. Sie sind nämlich die Hauptverdächtigen.«
    » was ?« Samuels Vater versuchte aufzuspringen. Die anderen keuchten. Ich zuckte mit den Schultern.
    »Nur zwei Familien in der Stadt haben Interesse daran, dass die Predigten aufhörten, die die Namen der beiden jungen Leute in den Schmutz gezogen haben: Sie und Laurenz Weigel. Aber an der Person von Laurenz Weigel wird sich kein Pogrom entzünden, mit dem der Mord an Julius Avellino gesühnt werden soll.«

    Man konnte das Schweigen beinahe greifen – und die Augäpfel des einen oder anderen, der die Augen vor Schreck so weit aufriss, dass sie ihm herauszufallen drohten.
    »Darum habe ich diesen Mann in aller Frühe hierher gebeten«, hörte ich Mojzesz in meinem Rücken sagen. »Er weiß, was in so einem Fall zu tun ist.«
    Ich wollte widersprechen, aber Mojzesz’ Bass dröhnte weiter: »Und er ist der Einzige, der auf unserer Seite ist.«
    Einer der Alten holte langsam Atem. Er musterte mich ohne Freundlichkeit. »Niemand ist auf unserer Seite. Die Ashkenazim haben keine Freunde …«
    »Unfug«, schnappte Mojzesz.
    »Reb Fiszel, werde erst einmal so alt und grau wie ich, bevor du es wagst, einem Älteren über den Mund zu fahren.« Der Senior wandte sich an mich. »Wissen Sie, wer ich bin?«
    »Ich nehme an, Sie sind der Rebbe.«
    »Ich bin Lewko ben Jordan …«
    » Doctor Lewko ben Jordan!«, warf einer der anderen ein.
    »… ich bin der Rebbe, ganz richtig.«
    »Und ein Tzaddik !«
    Ben Jordan wandte sich dem Unterbrecher zu. »Für einen wie ihn ist das nicht wichtig, er kennt die Bedeutung nicht.«
    » Tzaddik bedeutet übersetzt: ein Gerechter«, sagte ich. »Es heißt, so ein Mann verfügt über besondere geistige Kräfte und eine starke Seele. Nicht jeder Tzaddik ist ein Rebbe, aber jeder Rebbe sollte – als der geistige Führer seiner Gemeinde – ein Tzaddik sein.«
    Ben Jordan verzog keine Miene. »Reb Fiszel hat Sie viel gelehrt. Dann wissen Sie sicherlich auch, dass der Rebbe die finale Instanz für jede Entscheidung im Leben eines Gemeindemitglieds ist.«
    »Wenn er sich nicht an den König wendet.«
    Er nickte langsam. »Ganz richtig, wenn er sich nicht an den König wendet. Aber wenn er das tut, untergräbt er die Autoritätdes Rebbe und gefährdet den Zusammenhalt der Gemeinde, daher tut er es nicht.«
    »Abgesehen davon, dass senior Lemel schlecht bei König Kasimir um Gnade für seinen Sohn nachsuchen konnte, frei nach dem Motto: Der Junge wird’s bestimmt nie wieder tun!«
    Ben Lemel mahlte mit den Wangenknochen und starrte mich schweigend an. Ben Jordan wiegte den Kopf. »Es stimmt«, erklärte er schließlich, »die Entscheidung, Samuel nach Warschau zu den Goldgräbern zu senden, war meine Entscheidung.«
    »Aus der Ferne besehen sieht so eine Gemeinde immer in sich geeinter aus«, sagte ich zu Mojzesz, und er räusperte sich.
    »Ich dachte nicht, dass es wichtig wäre, dir alle Details offen zu legen.«
    »Wenn man lange genug hinschaut, erfährt man sie auch so.«
    Mojzesz’ Wangen röteten sich. Er senkte den Blick, machte ein paar verlegene Gesten und wandte sich dann an ben Jordan. »Rebbe, er hat

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