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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Waage spritzte auseinander, als die Reiter eine Scheinattacke auf das Gebäude ritten und im letzten Augenblick abdrehten, doch das Bemühen der Reiter kam zu spät. Ich hätte wetten mögen, dass ihr Ziel sichschon in Sicherheit gebracht hatte, noch bevor ich Friedrich von Rechberg zugerufen hatte, er möge zu laufen beginnen.
    »Sie wollen Avellino festnehmen«, stotterte Friedrich, der sich gleich mir umgedreht hatte und mit rückwärts gewandtem Kopf vorwärts stolperte.
    »Wollten«, sagte ich grimmig. »Der Vogel ist davongeflogen.«
    Mojzesz Fiszel lehnte sich plötzlich an eine Hauswand und rutschte daran herab, bis Friedrich und ich ihn aufhielten. Der große Mann war schwer wie ein Felsbrocken.
    »Ich kann nicht mehr«, stöhnte er. »Ich kann nicht … und ich verstehe nicht … ich dachte, es geht gegen …«
    »Ich auch«, ächzte Friedrich. »Das dachte ich auch. Reiß dich zusammen, Mojzesz, es sind nur noch ein paar Schritte bis zu Peters und Janas Haus.«
    Mojzesz rutschte endgültig auf den Boden und blieb dort sitzen. Er war schweißüberströmt. Seine Augen tränten, und seine Lider zuckten.
    »Ich kann nicht mehr … o mein Gott, was lässt du mich erdulden … warum hat er nicht … er hätte doch … ich dachte, nun wird Josseles Name …« Er schüttelte den Kopf und konnte nicht mehr damit aufhören.
    »Hilf mir, ihn hochzubringen«, sagte ich zu Friedrich. »Das wird eine Weile dauern, bis er sich erholt hat.« Ich starrte in das bleiche Gesicht des Münzmeisters und dachte: Das gilt auch für dich.
    Mojzesz Fiszel schien jegliche Kraft verlassen zu haben; er stöhnte wie ein hilfloser Alter, als wir ihn auf die Beine zu stellen versuchten. Plötzlich packte noch jemand mit an und zerrte an dem Bankier, bis er die Beine unter den Leib zu ziehen und sich aus eigenen Kräften hochzustemmen vermochte. Ich sah eine Pfauenfeder an einem Hut und biss die Zähne zusammen, doch dann machte Mojzesz eine Bewegung, und der Hut fiel auf den Boden, und sein Besitzer schob ihn achtlos mit dem Fuß beiseite.
    »Das Haus ist in hellem Aufruhr, Vater«, sagte Daniel und grunzte, als Mojzesz stolperte. »Wer ist denn dieser Stier, um den Ihr Euch so bemüht?«
    »Hilf uns, ihn nach Haus zu bringen«, sagte ich. »Auf dem Marktplatz haben sich die Krakauer soeben untereinander den Krieg erklärt.«
    »Na schön«, sagte Daniel und legte sich einen Arm von Mojzesz Fiszel über die Schulter. Er sah mich an, und zum ersten Mal seit seiner Ankunft und dem ganzen Arm voll von Schwierigkeiten, die uns seither in die Quere gekommen waren, konnte ich kein heimliches Amüsement in seinen Augen erblicken. »Den haben Sie zu Hause auch. Wenn wir Ihnen nicht willkommen sind, Vater, warum haben Sie uns dann geholt?«

Kapitel 4
    23. Tag im Brachmonat, 1486 a.d.

    Quem patronum rogaturus
    Cum vix justus sit securus?
    Juste Judex ultionis
    Ante diem rationis
    Kyrie eleison
    Kyrie eleison
    Die Weichsel windet sich grob aus Richtung Westen an Krakau heran und fließt ab dem Prämonstratenserinnenkloster Sankt Augustin recht geradlinig in West-Ost-Richtung auf die Stadt zu. Direkt vor dem Felssporn, auf dem der Wawel sitzt, biegt sie scharf nach Süden ab und teilt sich in zwei Arme, die Kazimierz, des Königs Stadt direkt südlich vor den Toren Krakaus, umfangen und sich östlich hinter Kazimierz wiedertreffen. Danach fließt sie in der alten Richtung weiter, als ob nichts geschehen wäre.
    Kazimierz, in Wettstreit zu Krakau seit seiner Gründung, mit eigenem Rathaus (dessen Rat dem König hörig ist), mit eigenen Verteidigungsanlagen, die lediglich aus purer Höflichkeit in Richtung Krakau nicht so stark ausgeprägt sind wie in die anderen drei Himmelsrichtungen, ist über vier Brücken zu erreichen. Eine davon, die beim Krakauer Tor, führt über den nördlichen Weichselarm, die Alte Weichsel; die restlichen überqueren den südlichen Weichselarm. Die Brücken über den Südarm sind niedrige, flache Holzkonstruktionen, die mit vielenStützen im Wasser stehen, von Hochwasser gefährdet, wenn Hochwasser jemals in reißender Form den Weg durch die vielen Weichselwindungen und schließlich um die zwei rechtwinkligen Kehren herum gefunden hätte; hier steigt das Wasser im Frühjahr oder nach heftigen Regenfällen lediglich an, bis man über die Brücken zu waten hat wie durch eine flache Furt. Manchmal treiben losgerissene Äste, die den kurvigen Weg dennoch bewältigt haben, heran und verfangen sich entweder in der Brücke beim

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