Der Sohn des Tuchhändlers
Skawinska-Tor im Westen oder spätestens beim Wielicka-Tor – die große Brücke beim Bochenska-Tor hat selten jemals größeres Treibgut als einen toten Fisch oder Schilfbündel gesehen.
Daher war es eine mittlere Sensation, die am frühen Morgen nach dem Aufruhr auf dem Krakauer Marktplatz eine Horde Frühaufsteher von der Bochenska-Brücke ins Wasser gaffen ließ. Die meisten von ihnen waren Bauern aus der Umgebung von Krzemionki, die stets versuchten, die Ersten auf dem Markt zu sein, da ihre Felder auf dem felsigen Hang nicht unbedingt die allerbeste Ernte hergaben. Die Bauern hatten ihre Karren durch den Frühdunst auf der Bochenska-Straße entlanggeschoben, sich beim Anblick des Galgens von Kazimierz bekreuzigt (oder ausgespuckt, je nach Gemütsverfassung), sich beraten, wie sie sich auf dem Markt platzieren wollten (und gleichzeitig darauf geachtet, einander nach Möglichkeit zu übervorteilen), Wasser und gerösteten Hafer miteinander geteilt (da jeder das Gleiche hatte, konnte man freigebig sein) und diejenigen Zeitgenossen – Große und Kleine – beschimpft, von denen sie annahmen, dass sie den Bauern übel wollten (also alle). Beim Tor mussten sie warten, weil die Wachen das Fallgitter noch nicht nach oben gezogen hatten, was die schlechte Laune der Bauern befeuerte und den Kreis derer, die zu beschimpfen waren, um die arroganten Torwachen, den unzuverlässigen Scharwächter, den hochfahrenden Grabenmeister und die rücksichtslosen Ratsherren erweiterte. Schließlich blickte einer, der von der Brücke hinunterspuckenwollte, ins Wasser, und fand, dass zwei Augen etwas weiter unten zurückstarrten.
Die Augen waren blicklos, das Gesicht unverletzt, aber bleich und bereits gedunsen und vom träge fließenden Wasser überspült. Der langsame Rhythmus des Wassers ließ den Kopf immer wieder über die Oberfläche kommen und dann zurücksinken, als versuche der Tote in aller Gemächlichkeit, noch einmal den Atem zu holen, der ihm seit Stunden ausgegangen sein musste. Sein Gewand war schwarz vor Nässe und halb zerrissen und hatte sich um ihn gewunden wie faul gewordener Tang; wäre das Gesicht nicht gewesen und hätte sich der Körper nicht halb um einen Brückenpfeiler gewickelt und dadurch verfangen, der Tote wäre auf seinem Weg den Fluss hinab und in der Dunkelheit, in der er ihn angetreten haben musste, als ein Haufen vergammelten Heus durchgegangen, den die Strömung gemächlich mit sich führte.
Der Spucker schluckte, was zu spucken gewesen wäre, wieder hinunter, bekreuzigte sich und alarmierte dann die Umstehenden. Deren Neugier machte die Torwachen aufmerksam, diese benachrichtigten den Scharwächter, der gerade seine Nachtwache beenden wollte, jener die Ratsherren, die greifbar waren, und danach war die Nachricht nicht mehr aufzuhalten auf ihrer Reise durch Kazimierz und schließlich über die Krakauer Brücke hinaus in alle Ohren im Umkreis.
Wäre der Verblichene nicht so bekannt gewesen, wäre die Nachricht von seinem Tod (und dass er diesem nicht im Wasser begegnet war, sondern dass ein Schnitt durch seine Kehle für sein Ableben verantwortlich war) nicht so schnell unterwegs gewesen. So konnte es auch geschehen, dass sie zuletzt mich erreichte, als ich in aller Frühe allein im Saal von Janas Haus saß und vergeblich darauf wartete, dass sich irgendein Mitglied meiner Familie zu mir gesellen wollte. Stattdessen kam Mojzesz Fiszel, und die Botschaft kam mit ihm.
»… furchtbar zugerichtet«, stöhnte Mojzesz, während ich erneut hinter ihm hereilte und allmählich das Gefühl hatte, in einem wiederkehrenden Traum gefangen zu sein. »Das Gesicht ganz zerfetzt, eine grausame Larve, und überall teuflische Symbole ins Fleisch eingeritzt. Eine trächtige Kuh hat ihr Kalb verloren, als sie den Leichnam im Wasser treiben sah; als man ihn herausholte, seufzten die Fische vor Mitleid.«
»Fische seufzen nicht, und schon gar nicht vor Mitleid«, sagte ich. »Und wenn sein Gesicht so zugerichtet gewesen sein soll, woran hat man ihn dann erkannt?«
Mojzesz antwortete nicht. Er bog in die Judengasse ein und rannte mehr, als er ging, in Richtung Stadtmauer. »Sie sind alle in meinem Haus«, keuchte er. »Sie haben sich sofort versammelt, als die Nachricht das Judenviertel erreichte. Was für ein Unglück, was für ein Unglück!«
»Vor allem für die Kuh.«
Mojzesz drehte sich im Laufen um und musterte mich. Er war entweder aufs Neue oder noch immer so bleich wie gestern Abend, unter seinen Augen
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