Der Sohn des Tuchhändlers
… warum hast du mir nicht …?«
»Weil niemand gern zugibt, dass sein Sohn nicht mit ihm redet«, sagte ich und dachte daran, wie gestern Abend Sabina und Daniel den Saal verlassen hatten, als wir Mojzesz hereingeschleppthatten. Ben Lemel ließ den Kopf hängen. Er warf mir einen hasserfüllten Seitenblick zu. Recht so, dachte ich, erschlagt den Überbringer der Botschaft.
»Mojzesz, von wem weißt du es?«
»Von Wit Stwosz!«
»Der war’s!«, rief einer der seniores sofort. »Er bleibt als Einziger übrig. Sonst wusste keiner davon.«
»Ich wusste davon«, sagte ich. Mojzesz verdrehte die Augen.
»Sie sind über jeden Verdacht erhaben«, erklärte Lewko ben Jordan.
»Und Veit Stoß auch. Denken Sie nach: Er ist ebenfalls einer von den unbeliebten Deutschen. Ist er wirklich so gut, dass ihm kein polnischer Bildschnitzer das Wasser reichen kann, oder hat der Rat einfach nur nicht gesucht? Ihn betrifft Avellinos Hetzpredigt ebenso wie Laurenz Weigel oder die anderen, deren Namen der Mob ausgespien hat. Noch dazu ist Samuel sein Schützling. Er kann froh sein, wenn man ihm die Bude nicht als Erstem anzündet.«
»Dann weiß ich nicht«, sagte Lewko ben Jordan und breitete die Arme aus, »wer es gewesen sein könnte.«
»Es könnten Zofias Begleiter gewesen sein«, erwiderte ich, »oder jeder, dem gegenüber Samuel damit geprahlt hat, welche Frucht er gepflückt hatte.« Ben Lemels Kopf ruckte nach oben. »Die Frage ist auch rhetorisch. Der Verräter ist garantiert nicht derjenige, der Avellino in der vergangenen Nacht die Gurgel durchgeschnitten und dann versucht hat, seinen Körper der Weichsel mitzugeben. Und darum geht es, falls Ihnen das noch nicht klar sein sollte, meine Herren: dass die Suche nach dem Mörder beginnt, bevor der Mob sich seinen eigenen Verdächtigen sucht.« Ich starrte ben Lemel an. Er starrte zurück. Ich hatte den seniores nicht die ganze Wahrheit gesagt; in gewisser Weise ging es doch darum, wer Avellino auf die Vergewaltigung hingewiesen hatte, wenn auch nur für mich. Ich wollte zu gern wissen, warum er es getan hatte, was er sich davon versprochen hatteund wie ich seine Skrupellosigkeit gegen ihn verwenden konnte. Ich hatte eine persönliche Fehde mit ihm; es hatte keinen Sinn, dies vor mir selbst zu leugnen.
Samuel hatte Zofia in Fryderyk Miechowitas Haus vergewaltigt, und der Hausherr musste darüber ebenso gut Bescheid wissen wie wir alle. Warum sollte er es nicht gewesen sein, der zu Avellino gegangen war? Die Juden konnten ihm egal sein, aber eine Gelegenheit, seine deutschen Konkurrenten in Bedrängnis zu bringen, würde er sicher nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wenn er intelligent genug taktierte, konnte der Vorfall ihn als einen der wenigen zu Wohlstand gekommenen polnischen Krakauer in eine einflussreiche Position bringen; Volkstribune hatten nicht nur im alten Rom große Macht besessen. Wer wusste, wie er sie nutzen würde? Die deutschen Patrizier mochten in der Mehrzahl arrogante, rücksichtslose Schweinehunde sein, die ihren einheimischen Mitbürgern die Luft zum Atmen neideten, aber Krakau war auch ihre Heimat, sie hatten ihren Anteil daran, wozu sich die Stadt entwickelt hatte, und dass Miechowita sie aus persönlichem Gewinnstreben zum Jagdwild für aufgehetzte Habenichtse machte, würde ich zu verhindern suchen.
Ganz abgesehen davon, dass es eine schreiende Verhöhnung des Unrechts war, das einem vergewaltigten Mädchen widerfuhr, wenn ihr Unglück dazu instrumentalisiert wurde, um einen wirtschaftlich-politischen Kampf zu entscheiden.
Und ganz abgesehen davon, dass ich mit Miechowita mein ganz privates Hühnchen zu rupfen hatte.
Darum verschwieg ich ihn den seniores (und zählte darauf, dass sie so schnell nicht von allein auf ihn kamen); Miechowita war mein .
»Helfen Sie uns?«, fragte der Rebbe.
»Ich habe Ihnen bereits geholfen.«
»Und der Herr wird es Ihnen vergelten. Aber wir brauchen Sie.«
»Ich weiß nicht mehr als Sie – und was ich mir zusammengereimt habe, habe ich mit Ihnen geteilt.«
»Reb Bernward«, sagte ben Jordan und faltete die Hände, »glauben Sie denn, einer von uns wäre auch nur zu diesen Schlussfolgerungen fähig gewesen?«
»Ich kann Ihnen nicht helfen. Abgesehen davon, dass ich nicht wüsste, wo ich anfangen sollte, habe ich selbst genug Scherereien am Hals.«
»Sie haben selbst betont, wie wichtig es ist, den Mörder zu finden.«
»Was glauben Sie, warum Avellino ermordet worden ist?«, fragte ich.
Ben Jordan
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