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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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versickerte.
    »Was ist los?«, hörte ich Miechowita fragen. Aus dem Augenwinkel sah ich ihn auf mich zukommen. »Was haben Sie gesehen?«
    Ich drehte mich um und ging weg, ohne noch irgendetwas von mir zu geben. Der Mann mit dem Lappen nahm seine Tätigkeit wieder auf.
    »Wir sollten in Ruhe miteinander reden«, rief Miechowita.
    Ich antwortete nicht. Ich wusste, dass er Recht hatte.

    Als ich an Janas Laden vorbeikam, sah ich den Ladenjungen, wie er wieder Ordnung in die Auslage brachte. Offenbar hatte Paolo ihn heute schon heimgesucht. War wieder so etwas wie Normalität in unseren Haushalt eingekehrt? Ich bezweifelte es, und umso mehr, als ich bei meinem Gang durchs Haus nirgendwo Paolos helle Stimme lachen, singen, kreischen oder mit sich selbst reden hörte und der kleine Kerl mir auch nirgendwo entgegengelaufen kam. Peter Bernward, der Paria, kehrte zurück.
    Der Saal im Obergeschoss schien zuerst leer zu stehen; dann spähte ich weiter um die Tür herum und sah zwei Rücken, die sich über Janas Schreibpult beugten. Es waren Jana und Sabina.
    »Leg sie dort auf den Tisch«, sagte Jana und machte eine Kopfbewegung, ohne sich umzudrehen. Die Tischplatte in der Nähe ihres Standorts war mit Pergamentrollen und in Holzdeckeln gebundenen Dokumentenstapeln übersät.
    »Wenn du mir sagst, was ich dort hinlegen soll, tu ich’s gerne«, sagte ich.
    Sie drehten sich beide um und musterten mich. Sabina schwieg. Über Janas Gesicht huschte ein leichtes Lächeln, das sofort wieder verschwand.
    »Ich zeige Sabina unsere Art der Buchführung«, erklärte Jana mit einer vagen Geste in Richtung Schreibpult, und ich wusste,dass sie zumindest in den letzten paar Minuten etwas anderes getan hatten. Sie hatten über mich geredet; ich ahnte, dass es ein kontroverses Gespräch gewesen war.
    »Schön«, sagte ich.
    »Wo warst du heute Morgen?«
    Die Antwort lag mir auf der Zunge: Ich habe auf euch gewartet, aber offenbar empfand niemand Sehnsucht nach mir. Stattdessen machte ich eine Handbewegung in die Luft. »Mojzesz wollte noch was von mir – du weißt ja, wie dringend es ihm immer dabei ist.«
    »Konntest du ihm helfen?«
    Ich fand die Frage merkwürdig. »Ja, alles in Ordnung …«
    »Ich meine nur«, sagte Jana und trat beiseite, und Sabina tat es ebenfalls, und ich sah, dass statt der Dokumente ein Kleidungsstück ausgebreitet auf dem Pult lag. »Mojzesz war vor ein paar Augenblicken hier und hat das abgegeben. Er meinte, es sei für Paolo. Du hättest dich geweigert, es anzunehmen.«
    Es war ein Wams. Rebecca musste die halbe Nacht daran gearbeitet haben. Der Stoff schimmerte im Licht des Morgens: Samt. Sie hatte es sogar in der Taille gerafft und gefältelt; sie wusste, dass an Paolos zierlichem Körper die Kleider immer herunterhingen wie Fahnen an einem windstillen Tag. Ich schluckte.
    »Was ist los mit dir, Peter?«, hörte ich Jana fragen.
    Ich sah auf. Für einen Moment begegnete ich Sabinas Blick und sah so viel Ärger darin, dass ich ihm auswich. Jana war einen weiteren Schritt vom Pult weggetreten und stand mit herabhängenden Armen im Gegenlicht der Fenster, sodass ich blinzeln musste.
    Die Situation war absurd. Ich war gekommen, um Jana endgültig wegen Miechowita zur Rede zu stellen; und sie hatte mein Zögern, als ich Sabina gesehen und überlegt hatte, wie ich es anstellen könnte, das Problem nicht vor ihren Ohren erörtern zu müssen und sie nicht gleichzeitig vor die Tür zu schicken wie ein kleines Mädchen, sofort genutzt und den Spieß umgedreht.Plötzlich sollte ich ihr Rede und Antwort stehen. Nach der Überraschung schoss Zorn in mir hoch.
    »Das fragst ausgerechnet du?«
    Sie hob die Hände halb und ließ sie wieder fallen. »Natürlich frage ich das. Ich habe alles Recht dazu. Und Sabina hätte ebenso viel Recht – genauso wie Daniel, wenn er hier wäre.«
    »Hervorragend, wenn ihr euch alle einig seid, dass ich der Bösewicht bin.«
    »Niemand hält Sie für den Bösewicht, Vater«, sagte Sabina. »Aber weder Daniel noch mir liegt daran, die Zeit wieder zu erleben, die wir mit Ihnen zusammen hatten, bevor ich nach Donauwörth ging.«
    Ich starrte sie an. Sie nickte. »Damals mussten wir es ertragen. Ihre Geistesabwesenheit, Ihre Achtlosigkeit, Ihr Selbstversunkensein, Ihr Hadern mit der ganzen Welt. Ich kann mich erinnern, dass wir Sie mehrfach ansprechen mussten, wenn wir beim Essen saßen und etwas auf dem Herzen hatten. Heute sind Sie nicht einmal mehr anwesend, wenn wir zusammen essen. Wozu

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