Der Sohn des Verräters - 21
antwortete Herm ein wenig abwehrend und stieg ebenfalls auf.
Domenic schnaubte. „Du wirst deine Wahl bereuen, bevor wir die halbe Strecke hinter uns haben. Dein Wallach hat den erbärmlichsten Gang, den ich je bei einem Pferd erlebt habe.“ „Ich fürchte, ich habe seine Unzulänglichkeiten bereits entdeckt, Tomas“, räumte Herm ein. Dann verließen sie die Wiese und ritten in gemächlichem Tempo die Straße entlang.
Vor ihnen waren schwer beladene Fuhrwerke, und eine Gruppe der Maultiertreiber folgte hinter ihnen, deshalb ging es nur langsam voran. Herm war froh darüber, weil sie in solcher Gesellschaft nicht auffielen. Als er einige Minuten später über die Schulter blickte, sah er gerade noch, wie der erste der leuchtend bunten Wagen des Fahrenden Volks auf die Straße bog.
Neben ihm ritt Domenic, er schwieg und beobachtete sein Umfeld genau. Nach einer Weile ließ sich Rafaella zurückfallen und kam an seine andere Seite. „Ich kenne diesen Teil Darkovers nicht sehr gut, Mestra“ , sagte er zu ihr.
„Ich weiß. Das ist einer der Gründe, warum mich Marguerida geschickt hat.“ Sie grinste breit, und die Sommersprossen auf ihrem hellen Teint leuchteten im schwachen Sonnenschein, der nun durch die Wolken drang. Sie hatte eine kecke Stupsnase, einen üppigen Mund und Lachfalten um die Augen. „Was wollt Ihr wissen?“ Herm zögerte. Wie viel hatte man Rafaella bereits erzählt?
Doch dann wurde ihm klar, dass er ihr ohne alle Sicherheiten vertrauen musste und dass sie bestimmt loyal und zuverlässig war, wenn Marguerida sie geschickt hatte. „Unsere Feinde suchen nach einer guten Stelle für einen Hinterhalt.“ Seine Aussage schien Rafaella nicht zu überraschen. „Davon gibt es bestimmt ein Dutzend zwischen hier und den Ruinen des Turms von Hali. Natürlich nicht direkt hier, so nah bei der Stadt.“ Sie schwieg einen Moment nachdenklich. „Es gibt ein ansehnliches Waldstück etwa elf Meilen hinter Carcosa; das würde mir gefallen, wenn ich solche Dinge im Sinn hätte.
Es ist so dicht, dass man mühelos hundert Leute darin verstecken kann. Und darüber hinaus, gibt es auf dem Weg nach Syrtis einige Streckenabschnitte, wo die niedrigen Hügel und die Bäume viel Deckung bieten.“ „Wenn ich recht verstehe, dann sind diese Gebiete also nicht bereits Zufluchtsorte von Banditen?“ „Aber nein. So nahe an Thendara ist das Land seit Jahren einigermaßen sicher. Die Banditen beschränken sich hauptsächlich auf die Berge. Im äußersten Fall haben wir es gelegentlich mit einem Wegelagerer zu tun, der einen einsamen Kaufmann zu entdecken hofft oder eine Dame aus den Domänen mit bescheidener Begleitung. Aber viel ist da nicht zu holen.“ Herm blickte von einer Straßenseite zur anderen, er sah die brachliegenden Felder, hier und da ein Haus oder eine Scheune und Tiere. Ein kleine Anhöhe war mit weißen Tupfen übersät, bei denen es sich zweifellos um Schafe handelte. Der Geruch der leeren Felder, des Pferdemistes auf der Straße und der warmen Ausdünstung seines eigenen Reittiers vermischten sich auf angenehme Weise, und er fing an, ein klein wenig gelöster zu werden.
„Onkel Ian“, schreckte ihn Domenic auf. Es befremdete Herm immer noch, wenn er mit diesem Titel angesprochen wurde, obwohl die Verwandtschaftsbeziehung durch Giselas Ehe mit Rafael Hastur ja tatsächlich bestand.
„Was gibt es?“ „Dieser Mann, Vancof, denkt über das Gelände nach, genau wie du, nur nicht so klar. Ich dachte nur, das könnte dich interessieren. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, dieses Waldstück, von dem Tante Rafi gerade gesprochen hat, gefällt ihm ganz gut. Er ist noch unschlüssig, weil er in mehrere Richtungen gleichzeitig denkt, aber gleich hinter Carcosa kam schon ein paarmal vor.“ „Gut, das zu wissen. Hast du schon einmal daran gedacht, hauptberuflicher Spion zu werden?“ Domenic schaute erschrocken, bevor er merkte, dass er auf den Arm genommen wurde. „Nein, aber ich kann verstehen, dass es manche Leute reizvoll finden. Mir ist überhaupt nicht wohl dabei, wenn ich das tue. Es kommt mir nicht richtig vor. Ich meine, ich kann schon sehr lange die Gedanken anderer Leute mithören – ich weiß gar nicht mehr, wann ich es nicht konnte –, aber ich habe gelernt, nicht zu lauschen. Zum einen, weil die meisten Gedanken ziemlich langweilig sind. Oder peinlich.“ Er errötete bis in die Haarspitzen, „Und die meisten Leute, mit denen ich zu tun habe, sind ebenfalls ausgebildet und
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