Der Sohn des Verräters - 21
übers Kinn. Und der Geschmack war ganz anders als der, den er gewohnt war. Der Koch hatte die Haut des Vogels mit einigen sehr würzigen Kräutern eingerieben, die Dome nic nicht kannte. Er schlürfte aus dem kleineren Bierkrug, den der Junge vor ihn hingestellt hatte, und grinste. An förmlichere Mahlzeiten gewöhnt, fand er die Erfahrung sehr angenehm. Als eine Schüssel mit gekochtem Getreide und mehreren Holzlöffeln darin aufgetischt wurde, nahm er sich eine Portion und benutzte den Servierlöffel wie Rafaella auch gleich weiter zum Essen. Ein Korb mit warmen Brötchen wurde gebracht, und er spießte eines davon mit seinem Messer auf.
Rafaella beobachtete ihn und unterdrückte mühsam ein Lächeln. „Gut, oder?“ „Köstlich!“ „Evan MacHaworth’ Vögel sind an der ganzen alten Nordstraße bekannt. Und seine Geflügelpastete ist berühmt. Angeblich sollen sogar schon Köche aus Thendara hier gewesen sein, die versucht haben, das Rezept zu stehlen.“ „Das überrascht mich nicht“, murmelte Herm mit halb vollem Mund.
Die übrigen Entsagenden hatten am anderen Ende des Tisches Platz genommen, sie aßen und unterhielten sich leise.
Domenic hörte ihre Stimmen sowie die der nun etwas rüpelhaften Maultiertreiber auf der anderen Seite und war satt und zufrieden. Ganz zu schweigen davon, dass er in seinem ganzen Leben noch nie so von Fett beschmiert gewesen war. Er wischte sich Mund und Hände an der rauen Serviette ab, dann säuberte er sein Messer und steckte es weg.
Er spürte, wie müde Herm neben ihm war. Geht es dir gut, Onkel Ian?
Ja, ja, aber ich bin mit den Jahren ein bisschen verweichlicht. Ich bin es nicht mehr gewohnt, auf dem Boden zu schlafen oder stundenlang zu reiten. Die Beine tun mir weh, und im Rücken sticht es. Aber das Bier scheint zu helfen. Domenic entspannte sich zufrieden. Reiten wir weiter, oder warten wir auf das Fahrende Volk?
Eine gute Frage, Tomas. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht. Ich muss zugeben, dass ich keinen richtigen Plan habe, sondern fortlaufend improvisiere. Schlauer Zug von deiner Mutter, uns die Entsagenden zu schicken – sie sind eine gute Tarnung. Ich denke, wir bleiben, da du ja glaubst, dass das Fahrende Volk heute Abend hier auftritt. Sie müssten uns in etwa einer Stunde eingeholt haben.
Du könntest zu Tante Rafi sagen, dass du müde bist oder dass du glaubst, dein Pferd lahmt ein bisschen. Dann erregt es keinen Verdacht, wenn wir hier bleiben. Und du könntest ein Bad nehmen – das Wirtshaus hat bestimmt eines.
Du bist ein Genie! So richtig lang in der Wanne liegen, das ist genau, was meiner armer Rücken braucht.
Deine Hände und dein Gesicht auch – du glänzt vor Fett!
Respektloser Lausebengel! Du siehst selber aus wie ein Schmutzfink!
Niemand hatte Domenic jemals einen Lausebengel oder Schmutzfinken genannt, und es gefiel ihm. Herm war nicht wie die anderen Erwachsenen, die er kannte, nicht so ernst.
Selbst Großvater Lew, den er anbetete und der viel Humor besaß, dachte ständig über schrecklich wichtige Dinge nach.
Und außer Lew hatte ihn nie jemand richtig geneckt. Er wusste nicht, ob es daran lag, dass er selbst so ernst war, oder ob seine Stellung einen solch zwanglosen Umgang ausschloss. Er beneidete Amaury, weil er Herm zum Vater hatte. So sehr er Mikhail liebte und respektierte, es herrschte immer eine gewisse Distanz zwischen ihnen, als fürchtete sich sein Vater davor, seinem Ältesten zu nahe zu kommen. Er war mehr der Sohn seiner Mutter als der seines Vaters, und Rhodri war Mikhails ganze Freude. Das hatte ihn nie sehr gestört, Rhodri war ein wesentlich unterhaltsamerer Mensch als er, vor allem wegen seines ganzen Unfugs, und Domenic hatte das stets akzeptiert. Aber jetzt war er der Böse und stand Rhodri in puncto Unfug in nichts nach. Der Gedanke verschaffte Domenic für einen Moment tiefe Befriedigung, obwohl er überzeugt war, dass sein nicht unterzukriegender kleiner Bruder sich in Bälde eine noch größere Freveltat ausdenken würde. Sollte er ruhig – Rhodri hatte jedenfalls noch kein Mordkomplott gegen ihren Vater aufgedeckt!
„Ich glaube, ich habe mir das Kreuz verrenkt, Mestra Rafaella“, verkündete Herm und holte Domenic in die Gegenwart zurück. „Meint Ihr, es gibt einen guten Heiler in der Stadt?“ Rafaella schaute einen Moment verdutzt, dann schien sie die Absicht hinter den beiläufig geäußerten Worten zu begreifen. „Nicht nötig. Wir haben unsere eigene Heilerin.“ Sie deutete zu einer
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