Der Sohn des Verräters - 21
mir gehabt, was?“ In ihrer Stimme lag ein reumütiger Tonfall. „Weißt du, wieviel Zeit ich damit vergeudet habe, sie zu hassen?“ „Nein, und ich will es auch gar nicht wissen.“ „Das ist gut – ich schäme mich nämlich sehr dafür. Und das mag ich überhaupt nicht.“ Sie seufzte, zuckte die Achseln und machte ein komisches Gesicht. „Du siehst eine geläuterte Aldaran vor dir stehen.“ Kate fasste, ohne lange nachzudenken, Giselas Kinn, sah ihr tief in die Augen und sagte: „Ja, ich sehe, wie dir die Tugendhaftigkeit förmlich aus den Poren quillt.“ Zu ihrer Freude lachte Gisela. „Es gibt niemanden sonst, nicht einmal Rafael, der mich so aufziehen dürfte, liebste Schwägerin. Irgendwie macht es mir bei dir nichts aus.“ „Das freut mich. So, du wolltest mir etwas zeigen.“ Katherine ließ Gisela los; ganz wohl, stellte sie fest, war ihr nicht bei diesem intimen Kontakt. Male ich etwa deshalb
Porträts – um anderen nahe zu sein, aber nicht zu nahe? Gisela fuhr mit der Hand in die Gürteltasche und zog einen
kleinen Gegenstand hervor. „Das war in meinem
Schmuckkästchen, und beim Ankleiden heute Morgen ist es mir
wieder eingefallen.“ Sie öffnete die Hand, und eine Figur von
etwa fünfzehn Zentimetern Länge kam zum Vorschein. Das
Holz im Laufe der Jahre dunkel geworden, und die Schnitzerei
war grobschlächtig, aber nichtsdestoweniger eindrucksvoll.
„Das war das Letzte, was ich gemacht habe, bevor mich mein
Kindermädchen zwang, damit aufzuhören.“ Katherine nahm die
Figur und drehte sie in der Hand. Sie bemerkte, wie Gisela die
Maserung des Holzes gut ausgenutzt und nur so viel
weggenommen hatte, wie sie brauchte, um die Falten eines
Gewandes anzudeuten. Das Gesicht der Figur war schlicht, aber
bewegend. Auf der Rückseite der Schnitzerei war noch ein
wenig Rinde übrig, rau und dunkel. Die Spuren eines groben
Werkzeugs waren erkennbar, nicht der Meißel eines Schnitzers,
sondern ein weniger geeignetes Instrument.
Kate nahm an, dass es sich um eines dieser Gürtelmesser
handelte, die hier anscheinend alle trugen und die zum
Schnitzen nicht besonders brauchbar waren.
„Ich glaube nicht, dass du dir große Sorgen machen musst, ob
du gut genug bist, Gisela. Jeder Bildhauer, den ich kenne, würde
sich glücklich schätzen, wenn das hier von ihm wäre.“ „Danke.“
„Verrätst du mir jetzt etwas?“ „Was du willst.“ „Warum bist du
gestern zu mir gekommen?“ „Ach, das.“ „Ja, das.“ „Ich … weiß
eigentlich gar nicht. Ich war bereit, dich zu hassen. Und
nachdem ich dich zum ersten Mal gesehen hatte. wurde es noch
schlimmer. Später beim Abendessen, als mich Danilo SyrtisArdais ins Gebet nahm, weil er nach einem Blick auf dich in
deinem terranischen Aufzug sofort wusste, was passiert war, da
erkannte ich plötzlich, dass ich mich wie eine Idiotin benahm –
dass ich dich gar nicht zur Feindin haben musste.“ Sie zitterte
leicht. „Als Rafael mit euch allen vom Raumhafen eintraf, kam
mir gar nicht in den Sinn, dass du vielleicht meine Freundin sein
möchtest, weil ich mir nie vorstellen konnte, dass jemand das
tatsächlich will. Ich hätte immer gern eine Schwester gehabt,
musst du wissen. Aber mit Marguerida hatte ich mir alles
verdorben, und jetzt fing ich bei dir schon wieder mit demselben
Blödsinn an. Also … habe ich es riskiert. Ich hatte schreckliche
Angst, aber mir war klar. wenn ich es nicht wenigstens einmal
versuchte, würde ich es mein ganzes Leben bereuen.“ „Ich bin
froh, dass du es getan hast, Gisela. Ich habe mehrere
Schwestern, aber die leben eine halbe Galaxie entfernt und ich
werde sie wohl nie mehr wieder sehen. Du warst sehr mutig.“
„Das hast du gestern schon gesagt, und ich habe es nicht
geglaubt, aber wenn du es noch ein paarmal wiederholst, fange
ich vielleicht an damit.“ Katherine beugte sich lächelnd vor und
gab Gisela einen leichten Kuss auf die Wange. Dann trat sie
einen Schritt zurück. „So … wo nehmen wir jetzt ein paar
anständige Schnitzwerkzeuge für dich her?“
16
Die Luft in dem kleinen Arbeitszimmer war schal und roch nach Anspannung. Lew Alton beobachtete Mikhail, der vor dem Kamin stand und mit ein paar kleinen geschnitzten Figuren spielte, die auf dem Sims aufgereiht waren. Der Jüngere der beiden sah ausgeruhter aus als am Vorabend, trotz der stets gegenwärtigen Angst um Domenic. Er lächelte seinen Schwiegervater an, als verstünde er dessen Sorgen und versuchte ihn zu beruhigen. Donal stand ein kleines
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