Der Sohn des Verräters - 21
zu wissen, dass sie nicht die einzige frustrierte und zornige Bewohnerin auf Burg Comyn war.
Sie dachte eine Weile über die Sache mit der Empathie nach. Das war doch ein normaler menschlicher Zug? Dennoch schien es auf Darkover mehr zu sein, eine dieser Gaben, von denen ständig die Rede war. Einfühlungsvermögen zu besitzen, damit müsste sie leben können. Margueridas Erklärung klang jedenfalls einleuchtend.
Als es zum zweiten Mal an der Tür klopfte, war sie unentschlossen, ob sie sich über diese neuerliche Störung freuen oder ärgern sollte. „Herein.“ Es war Gisela, sie sah ein wenig schüchtern aus, unsicher, ob sie willkommen war. Die Frau trug ein rostbraunes Übergewand und einen dunkleren Rock, es war den Kleidungsstücken nicht unähnlich, die sie Katherine am Vortag mitgebracht hatte. „Hallo. Störe ich gerade sehr?“ „Überhaupt nicht. Ich habe nur vor mich hin geträumt.“ Hatte Marguerida ihr so schnell gesagt, dass sie kommen sollte? Katherine war noch nicht für ein Porträt vorbereitet – sie würde eine Sitzgelegenheit für ihr Modell brauchen, und es gab nur den Hocker – aber sie konnte ein paar Skizzen anfertigen. „Gut.“ Gisela musterte sie von oben bis unten. „Warum trägst du einen Reitrock, Kate?“ „Ist das einer? Kate zupfte an den Falten des Kleidungsstücks. „Ich habe nach etwas gesucht, das bequem ist und nicht leicht schmutzt. Ist es unangemessen?“ „Nein, nicht direkt, es sieht nur zusammen mit einer Schürze ziemlich extravagant aus.“ Gisela lachte kurz, dann wurde sie wieder ernst. „Ich habe letzte Nacht kaum geschlafen.“ „Das tut mir Leid.“ „Aber nicht doch! Ich habe darüber nachgedacht, was du in der Kutsche gesagt hast, und ich war bis fast zum Morgengrauen so aufgeregt, dass ich kein Auge zutun konnte. Geht es dir gut, Kate? Du siehst aus, als hättest du nicht mehr Schlaf abbekommen als ich.“ „Ja, alles in Ordnung.“ Katherine unterdrückte das Verlangen, mit Gisela über Herm zu sprechen. Sie mochte ihre neue Schwägerin, aber sie wusste noch nicht genau, wie vertrauenswürdig diese war. „Ich glaube, es braucht einfach seine Zeit, bis ich mich an Darkover gewöhnt habe.“ „Du wirkst beunruhigt.“ „Tatsächlich?“ „Machst du dir immer noch Sorgen, man könnte in deinen Gedanken herumstöbern?“ „Ja, ein bisschen wohl schon.“ Mit leichtem Erstaunen stellte Katherine fest, dass es ihr gelungen war, fast eine halbe Stunde lang nicht an dieses Problem zu denken. Wie unfreundlich von
Gisela, sie daran zu erinnern.
„Hör auf damit.“ Kates Schwägerin zögerte wieder und trat in
ihren langen Röcken von einem Bein aufs andere. „Darf ich dir
etwas zeigen?“ Katherine sah sie an und nun fiel ihr auf, dass sie
etwas von Giselas Stimmung fühlen konnte. Es war sehr
sonderbar, und im ersten Moment war ihr ausgesprochen
unwohl dabei. Aber alles, was sie bei Gisela wahrnahm, war
Aufregung, ohne die eher düsteren Gefühle, die sie am Vortag
bemerkt hatte, wie ihr nun erst bewusst wurde. Inwieweit hatte
sie sich all die Jahre nur geweigert, diese Sache akzeptieren?
Vielleicht hatte Marguerida Recht. „Natürlich, solange es nichts
Schlimmes ist.“ Gisela sah betroffen aus und schüttelte den
Kopf. „Kate, ich schwöre dir, ich werde nie wieder etwas
Gemeines tun! Ich will, dass du meine Freundin bist. Ich
brauche deine Freundschaft!“ In ihren lebhaften grünen Augen
glitzerten Tränen, Und sie zitterte. Katherine legte den
Skizzenblock beiseite und stand langsam auf, gerührt, aber auch
ein wenig verängstigt von diesem Gefühlsausbruch. Dann
durchquerte sie den Raum und legte die Arme um Gisela. Sie
roch den schwachen Lavendelduft in der Kleidung und ein
Parfüm ebenfalls. „Na, na. Weine nicht, meine Liebe.
Marguerida hat mich gerade gebeten, ein Porträt von dir zu
malen“, fügte sie an. Sie wollte der Woge der Verzweiflung
Einhalt gebieten, die ihre Schwägerin erschütterte, und griff
nach dem erstbesten Trost, der ihr einfiel.
„Wirklich? Und, hast du ihr gesagt, dass du mich bereits
gebeten hast, dir Modell zu sitzen?“ „Nein. Sie dachte, es würde
dir Freude bereiten, und ich wollte nicht …“ Gisela richtete sich
auf. „Das war sehr nett von ihr, oder? Nach allem …“ „Ich glaube, Marguerida ist ein sehr netter Mensch, Gisela,
und wünscht aufrichtig, dass alle Leute in ihrer Umgebung
glücklich sind.“ Gisela wischte sich mit dem Taschentuch über
die Augen.
„Sie hat nicht viel Glück mit
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