Der Sohn des Verräters - 21
Sicherheit besorgt waren. Ihr Mund war trocken, und das Blut hämmerte so laut in ihren Schläfen, dass sie die Schreie ringsum kaum wahrnahm.
Ihr einziger Gedanke war, so schnell wie möglich zu ihrem Sohn zu kommen.
Bis sie die Kutsche erreicht hatte, keuchte sie bereits. Die Tür stand offen, und ein Paar Beine hing heraus. Marguerida spähte ins Innere. Domenic sah ihr aus weit aufgerissenen Augen entgegen, sein Gesicht war kreidebleich. Er hielt einen kurzen, blutverschmierten Dolch in der Hand. Kopf und Oberkörper eines Mannes lagen auf seinen Knien, eine Wunde im feisten Hals. Katherine war in den äußersten Winkel zurückgewichen, und Herm versuchte, eine Blutung an seiner linken Schulter zu stillen.
„Er dachte, ein Junge sei keine Gefahr“, murmelte Domenic benommen, und dann erbrach er das ausgezeichnete Mittagessen, das er eine Stunde zuvor eingenommen hatte, auf den Boden der Kutsche. Der Dolch glitt ihm aus den Fingern, und Marguerida riss ihren Sohn an sich und drückte ihn heftig.
Katherine rutschte auf der Bank neben ihren Mann. Mit einer ruckartigen Bewegung trennte sie den unteren Teil des Ärmels von ihrem Hemd ab, zog ihn unter dem Übergewand hervor und band ihn, so straff sie konnte, oberhalb der Wunde fest. Sie weinte und fluchte dabei gleichzeitig in einem fort.
Herm war nur halb bei Bewusstsein, murmelte aber ständig, dass ihm nichts fehle.
Marguerida schluckte schwer, vergewisserte sich rasch, dass ihr Sohn keinen körperlichen Schaden erlitten hatte, und kroch auf den Rücken des Toten. Ihre Knie drückten in das noch warme Fleisch unter seiner Kleidung. „Komm, lass mich dir helfen, Kate.“ „Was kannst du tun?“, kreischte Herms Frau und sah sie aus flehenden Augen an.
„Du würdest dich wundern“, antwortete Marguerida, über die eine so unvermittelte Ruhe kam, dass sie sich fragte, wo ihre Angst geblieben war. Der behelfsmäßige Druckverband hatte den Blutfluss verlangsamt, aber Herms Arm bot einen schrecklichen Anblick. „Geh mir aus dem Weg!“ Katherine starrte sie einen Moment lang an, als wollte sie sich nicht bewegen, dann wich sie zurück. Marguerida beugte sich über Herm, hob ihre unbedeckte linke Hand und schloss die Augen. Bei Aldones, war sie müde! Es erschien ihr wie eine Ewigkeit, bevor sie die verletzten Blutgefäße lokalisieren konnte. Der Stich hatte die Arterie hauchdünn verfehlt, aber die Wunde blutete dennoch schlimm.
„Was tust du da?“, schrie Katherine ängstlich und wütend zugleich.
„Lass sie in Ruhe“, brüllte Domenic zurück, dann spuckte er wieder.
„Alles in Ordnung, Kate“, ertönte Mikhails Stimme in Margueridas Rücken. Sie wusste, er stand in der offenen Tür der Kutsche, und sie fühlte seine Müdigkeit ebenso stark wie ihre eigene.
Marguerida versuchte, die Geräusche ringsum auszusperren, die Schreie der vor Angst rasenden Maultiere, die Rufe von Gardisten und Entsagenden. Das war einfacher, als ihren Geist vor Katherines Panik, Domenics Entsetzen und der Besorgnis ihres Mannes zu verschließen. Es schien ewig zu dauern, aber zuletzt gelang es ihr, sich auf nichts anderes als Hermes-Gabriel Aldaran zu konzentrieren, und für eine Weile war sie mit ihm allein. Sie hob die Handfläche mit der Matrix darin und bewegte sie über das verletzte Fleisch, um die Wunde auszubrennen. Vorübergehend geriet sie ins Stocken und spürte, wie Mikhail sie unterstützte, bis sie die Kraft hatte, die Aufgabe zu vollenden. Die Wunde würde noch gesäubert und genäht werden müssen, aber sie hatte die Blutung fürs Erste gestoppt.
Nun endlich kam Marguerida zu Bewusstsein, dass sie auf einer Leiche kniete, und sie zog sich neben ihren Sohn auf die Bank. Ihr Gesicht war schweißbedeckt, und ihre Hände zitterten. Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, und ein Hauch ihres eigenen Angstschweißes und des Bluts an ihren Händen stieg ihr in die Nase. Angewidert verzog sie das Gesicht. Katherine starrte sie an, die Hände ihrerseits verschmiert mit Herms Blut, die Haut so weiß, wie Marguerida sie noch nie gesehen hatte. „Jetzt ist er erst einmal versorgt, Kate, bis eine Heilerin ihn gründlich reinigen kann“, brachte sie krächzend heraus.
Sie war zu müde, um sich zu bewegen, aber die laute Atmosphäre der Kutsche war ihr beinahe unerträglich. Sie wollte unbedingt nach draußen, aber ihr Körper verweigerte den Dienst. Dann sah sie, wie ein kräftiges Paar Hände die Füße des Toten packten, der noch immer, von Blut und
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