Der Sohn des Verräters - 21
schloss die Augen, konzentrierte sich darauf, ihre Kanäle zu reinigen, und spürte, wie die Erschöpfung langsam von ihr abfiel und von einem Heißhunger ersetzt wurde, wie sie ihn seit Jahren nicht empfunden hatte. Dann trafen sie unvermittelt Schock und Trauer. So viele brave Männer waren in der kurzen Zeit des Kampfes gestorben, und weitere würden folgen.
Wortlos schob sie die Gefühlsregung beiseite und sah, dass Mikhail vom Pferd stieg, gefolgt von Donal, der gespenstisch bleich war. Zwei Gardisten erhoben Einspruch, aber Mikhail ging bereits auf die leblosen Körper jener zu, die sich außerhalb seines Schutzbereichs befunden hatten. Er beugte sich über einen gefallenen Gardisten, bevor er sich neben ihm auf die Erde kniete, während Donal sich in seinem Rücken hielt, wachsam trotz seines langsam nachlassenden Schreckens.
Als sich Marguerida aus dem Sattel schwang, um sich Mikhail anzuschließen, fand sie an der Bewegung eines Pferdes neben ihr nichts Ungewöhnliches, und sie achtete kaum darauf. Doch dann sah sie, dass Dom Francisco mit erhobenem Schwert und einem hasserfüllten Ausdruck im blassen Gesicht auf Mikhail zuritt. Donal drehte sich beim Geräusch der Hufe um, jedoch nicht schnell genug. lm nächsten Augenblick lag er auf dem Boden und musste aufpassen, nicht zu Tode getrampelt zu werden.
Bevor Marguerida sich rühren oder auch nur die Befehlsstimme einsetzen konnte, um Dom Franciscos Angriff zu stoppen, nahm sie aus dem Augenwinkel eine zweite Bewegung wahr. Rafael Hastur stürmte auf seinem Pferd nach vorn und schlug dem alten Ridenow mit dem Heft seines Schwerts so hart auf den Kopf, dass es hörbar krachte. Der Mann schwankte im Sattel und klammerte sich mit der freien Hand am Knauf fest, dann schwang er herum und ließ seine Schwertklinge an den Hals von Rafaels Pferd sausen, wobei er das Knie des Reiters nur knapp verfehlte. Das Pferd scheute, wieherte laut und stürzte. Donal rappelte sich auf, von seinem Gesicht tropfte Blut.
Marguerida sah, wie sich der junge Friedensmann über die Augen wischte, dann stieß er sein Schwert in Franciscos Oberschenkel und schrie: „Du verräterischer Hund!“ Ein halbes Dutzend Gardisten umringte Dom Francisco nun, und einer schlug ihn aus dem Sattel. Der Gestürzte blieb bewusstlos auf dem Boden liegen, aus seinem Bein floss Blut, und Donal hob wütend das Schwert, um zu vollenden, was er begonnen hatte.
„Nein!“ Das Wort war Marguerida entschlüpft, ohne dass sie nachgedacht hatte.
Donal zögerte, während einer der Gardisten rasch vom Pferd stieg und sich über den gefallenen Domänenherrn beugte. Er blickte zu Marguerida auf. „Wollt Ihr ihn lebend, Domna, oder sollen wir ihn verbluten lassen?“ Mikhail schob sich zwischen Donal und dem Gardisten hindurch, sein Gesicht war grimmig und blass. Er betrachtete Francisco einen Augenblick lang und kniete dann neben ihm nieder. Ohne ein Wort zu sagen, hielt er die Hand über die Wunde, die Facetten des Rings glitzerten im roten Schein des Brandes hinter ihm. Innerhalb weniger Sekunden begann die Blutung nachzulassen. „Ich will ihn lebend“, sagte er zu dem Gardisten. „Mit dem Tod käme er zu leicht davon.“ „Wie Ihr meint, Vai Dom, wie Ihr meint.“ Der Mann schien enttäuscht zu sein.
Marguerida blickte auf Dom Francisco hinab, und die ganze Szene nahm einen unwirklichen Charakter an. Es war, als könnte sie nicht richtig begreifen, was soeben geschehen war.
Kate hatte Recht gehabt. Während sie noch mit ihrer Verwirrung kämpfte, fühlte sie plötzlich eine wachsende innere Unruhe am Rande ihres Bewusstseins, zuerst noch schwach, doch dann drang sie durch ihren benebelten Geist. Sie drehte sich um und starrte zum Ende des Trauerzugs, dort, wo die Kutschen standen, und ihr Herz zog sich entsetzt zusammen. Sie sah Bewegung, das Hin- und Herwogen von Kämpfern, unterbrochen von gelegentlichem Aufblitzen von Schüssen. Wie eine Kralle griff die Angst in ihre Eingeweide.
Domenic! Mikhail warf den Kopf zu ihr herum, und dann lief sie los, durch das Gewühl von Menschen und Pferden, vorbei an dem großen flachen Wagen mit Regis Hasturs Leichnam. Eine breite Brust im Blau der Hasturgarde tauchte vor ihr auf, und sie drückte sie mit der rechten Hand mit aller Kraft weg. Trotz seines größeren Gewichts setzte sich der Mann rücklings auf die Erde und gab ein Geräusch von sich, als würde ihm die Luft wegbleiben. Marguerida fühlte, wie Mikhail ihr folgte, dazu mehrere andere, die um seine
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