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Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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dunkles Gefühl von Unrecht überkam sie, und sie empörten sich bei dem Gedanken, daß so viele ihrer Brüder auszogen, um zu sehen, wie sie sich niederschossen, ohne auch nur mit einem Wort zu protestieren, als handelte es sich um ein Fest. Es war, als sei ihr Wert in den Augen der Mitwelt gesunken. Die Vorbereitungen verwirrten sie.
    »Rücken gegen Rücken, David. Fünfzig oder hundert Schritt?«
    »Fünfzig«, lautete die blutdürstige Antwort, mürrisch, aber fest.
    Aber der Irländer warf einen schnellen Blick auf das neue Hanfseil, das Malemute Kid sich nachlässig um den Arm geschlungen hatte, und er schöpfte Verdacht.
    »Was wollt ihr mit dem Seil?«
    »Los!« Malemute Kid sah auf die Uhr. »Ich habe ein Brot im Ofen und möchte nicht, daß es verbrennt. Außerdem kriege ich kalte Füße.«
    Auch die übrigen legten auf verschiedene, ebenso ausdrucksvolle Art und Weise ihre Ungeduld an den Tag.
    »Aber das Seil, Kid? Es ist funkelnagelneu, das Brot ist wohl nicht so schwer, daß du es damit herausziehen willst?«
    Bei diesen Worten wandte Bettles sich um. Vater Roubeau, dem die Komik der Situation aufging, verbarg ein Lächeln hinter dem Handschuh.
    »Nein, Lon, das Seil ist für einen Mann bestimmt.« Malemute Kid konnte zuzeiten sehr deutlich werden.
    »Welchen Mann?« Bettles bekam eine Ahnung, daß die Sache ihn persönlich anging.
    »Für den andern.«
    »Ja, für wen denn?«
    »Nun hör mal zu, Lon – und du auch, Bettles! Wir haben eure Angelegenheit besprochen und sind zu einem Entschluß gelangt. Wir wissen, daß wir kein Recht haben, uns hineinzumischen – «
    »Nee, das fehlte auch noch!«
    »Und wir denken auch gar nicht daran. Aber so viel können wir tun – wir werden dafür sorgen, daß dies das einzige Duell in der Geschichte von Forty Mile sein wird, und wir werden für jeden Chechaqua, der den Yukon herunterkommt, ein Exempel statuieren. Der Mann, der lebendig davonkommt, wird am nächsten Baum aufgehängt.
    So, nun könnt ihr anfangen.«
    »Geh los, David – fünfzig Fuß, kehrt, und dann losknallen, bis einer von uns die Nase in die Luft streckt. Das werden sie schon bleibenlassen, das wagen sie nicht, es ist richtiger Yankeebluff!«
    Mit vergnügtem Grinsen begann er zu gehen, aber Malemute Kid hielt ihn an.
    »Lon! Wie lange kennst du mich?«
    »Manchen lieben Tag.«
    »Und du, Bettles?«
    »Nächstes Jahr, im Juni, wenn das Hochwasser kommt, fünf Jahre.«
    »Habt ihr in all der Zeit je gehört, daß ich mein Wort gebrochen hätte?«
    Beide Männer schüttelten den Kopf und bemühten sich, den Sinn seiner Worte zu erfassen.
    »Schön, und wie schätzt ihr ein Versprechen ein, das ich euch jetzt gebe?«
    »Wie meine Seligkeit«, meinte Bettles.
    »Ja, darauf kann man ruhig seinen Anteil am Himmel setzen«, räumte Lon McFane bereitwillig ein.
    »Also hört! Ich, Malemute Kid, gebe euch mein Wort – und ihr wißt, was das heißt – , daß der Mann, der nicht totgeschossen wird, zehn Minuten nach dem Duell am Baume hängt.«
    Er trat zurück, wie Pilatus getan haben mochte, als er sich die Hände gewaschen hatte.
    Eine tiefe Stille trat ein unter den Männern von Forty Mile. Der Himmel senkte sich noch tiefer herab und entsandte einen Schwarm von Frostkristallen, kleine geometrische Wunder, luftig wie ein Hauch, und doch bestimmt, zu bleiben, bis die zurückkehrende Sonne die Hälfte ihrer nordischen Reise zurückgelegt hatte. Beide Männer waren stets bereit gewesen, jeder aufflackernden Hoffnung mit einem Fluch oder einem Scherz auf den Lippen und mit einem unerschütterlichen Glauben an den Gott des Zufalls im Grund ihrer Seele zu folgen. Aber jetzt war diese barmherzige Gottheit ganz aus dem Spiel gesetzt. Sie forschten in den Zügen Malemute Kids, aber er war wie eine Sphinx, und es gab keine Deutung. Wie die Minuten schweigend verrannen, fühlten sie, daß es jetzt an ihnen war, etwas zu sagen.
    Schließlich wurde das Schweigen von dem Geheul eines Wolfshundes in der Richtung von Forty Mile gebrochen. Der unheimliche Ton schwoll mit dem ganzen Pathos eines brechenden Herzens und erstarb dann in einem langgezogenen Seufzer.
    »Verflucht noch mal!«
    Bettles schlug den Kragen seiner Mackinaw-Jacke hoch und starrte hilflos um sich.
    »Das ist ein hübsches Spiel, was ihr euch da ausgedacht habt!« rief Lon McFane. »Den ganzen Verdienst kriegt die Firma, und der Verkäufer nicht einen Deut. Der Teufel selbst würde auf den Kontrakt nicht eingehen – und ich will verdammt sein,

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