Der Sohn des Wolfs
letzte Rolle in der Tragödie des Lebens. Mason hörte das warnende Krachen und versuchte aufzuspringen, erhielt aber, fast schon stehend, den Schlag gegen die Schulter. Die plötzliche Gefahr, der schnelle Tod – wie oft hatte Malemute Kid ihnen ins Auge geblickt! Die Kiefernnadeln zitterten noch, als er auch schon zusprang. Auch die Indianerin wurde weder ohnmächtig noch erhob sie ihre Stimme zu unnützen Klagen, wie viele ihrer Schwestern getan hätten.
Auf seine Anordnung warf sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf eine schnell improvisierte Hebestange, erleichterte damit den Druck und lauschte auf das Stöhnen ihres Gatten, während Malemute Kid dem Baum mit der Axt zu Leibe ging. Der Stahl klang hell, als er in den gefrorenen Stamm biß, und jeder Schlag wurde von einem atemlosen »Hup! Hup!« des Fällers begleitet.
Endlich legte Kid das klägliche Etwas, das einmal ein Mann gewesen war, in den Schnee. Näher aber als die Qual seines Kameraden ging ihm die stumme Angst auf dem Gesicht der Frau, der aus hoffendem und hoffnungslosem Fragen gemischte Ausdruck. Es wurde nicht viel gesprochen. Im Nordland sieht man bald die Nutzlosigkeit der Worte und den unendlichen Wert der Taten ein. Bei einer Temperatur von 65 Grad Fahrenheit unter Null kann ein Mensch nicht lange im Schnee liegen, ohne zu sterben. So wurden denn die Zugleinen zerschnitten, der Leidende wurde in Pelze gehüllt und auf ein Lager von Zweigen gelegt. Vor ihm knisterte ein Feuer, genährt von dem Baum, der das Unglück verursacht hatte. Hinter und teilweise über ihm war ein primitiver Schirm aufgestellt – ein Stück Leinwand, das die Wärmestrahlen auffing und auf den Mann zurückwarf – , eine der Erfindungen, die Männer machen, wenn sie Physik an der Quelle studieren.
Und Männer, die ihr Bett mit dem Tode geteilt haben, wissen, wann der Ruf ertönt. Mason war schrecklich zugerichtet. Die oberflächlichste Untersuchung ergab das. Auf der rechten Seite waren ihm Arm, Bein und Rücken zerschmettert, die Glieder von der Hüfte an gelähmt, und aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er auch innere Verletzungen erlitten. Ein gelegentliches Stöhnen war das einzige Lebenszeichen, das er gab.
Es gab keine Hoffnung; es war nichts zu tun. Die unbarmherzige Nacht verstrich langsam für Ruth, die in dem verzweifelten Stoizismus ihrer Rasse dasaß, und für Malemute Kid, in dessen Bronzegesicht sich neue Furchen zeigten. Mason litt in der Tat am wenigsten, denn er verbrachte die Zeit in den Bergen von Tennessee, wo er Szenen aus seiner Kindheit wieder erlebte. Und sein längst vergessener Südstaatendialekt ertönte mit einem seltsamen Pathos, wenn er in seinen Phantasien schwamm, Waschbären jagte und Wassermelonen stahl. Für Ruth war es Chinesisch, Kid aber verstand es – verstand es, wie nur der es kann, der jahrelang von aller Zivilisation abgeschlossen gewesen ist.
Der Morgen brachte den Sterbenden wieder zum Bewußtsein, und Malemute Kid beugte sich über ihn, um sein Flüstern zu verstehen.
»Weißt du noch, wie wir uns auf dem Tanana trafen? Im nächsten Frühling sind es vier Jahre her. Ich machte mir damals nicht soviel aus ihr. Gewiß, sie war hübsch, und irgend etwas an ihr reizte mich, glaube ich. Aber seitdem habe ich sie sehr liebgewonnen. Sie ist mir eine gute Frau gewesen, immer Schulter an Schulter mit mir, wenn ich in der Klemme war. Und beim Handel, das weißt du, hat sie nicht ihresgleichen. Weißt du noch, wie sie die Moosehorn-Schnellen hinabfuhr, um dich und mich vom Felsen herunterzuholen, während die Kugeln das Wasser wie Hagelschlossen peitschten? Und damals bei der Hungersnot in Nuklukyeto? – oder als sie mit dem Eisbruch um die Wette lief, um mir die Nachricht zu bringen? Ja, sie ist mir eine gute Frau gewesen, besser als die andre. Das wußtest du vielleicht nicht? Ich hab’ es dir nie erzählt, was? Ja, ich hab’ es schon einmal in den Staaten versucht. Darum bin ich ja hier. Wir waren zusammen aufgewachsen. Ich ging fort, um ihr Gelegenheit zu geben, sich von mir scheiden zu lassen. Und die nahm sie wahr.
Aber das hat nichts mit Ruth zu tun. Ich habe gedacht, im nächsten Jahre reinen Tisch zu machen und wegzugehen – mit ihr – aber jetzt ist es zu spät. Schick sie nicht zu ihrem Volk zurück, Kid. Es ist verflucht schwer für eine Frau, wenn sie wieder zurückgehen soll. Denk nur – fast vier Jahre hat sie unsere Kost gegessen: Schinken und Bohnen und Mehl und Dörrobst, und da sollte sie wieder zu
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