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Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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ihren Fischen und ihrem Rentierfleisch zurück. Es wäre nicht gut für sie, unser Leben versucht und gemerkt zu haben, daß es besser als das ihres eigenen Volkes ist, um dann zu ihnen zurückzukehren. Nimm dich ihrer an, Kid – warum willst du nicht selbst – aber nein, du hast ja immer Angst vor ihnen gehabt – und du hast mir auch nie erzählt, warum du ins Land gekommen bist. Sei gut zu ihr und schicke sie nach den Staaten, sobald du kannst. Aber mach es so, daß sie wiederkehren kann – sie bekommt so leicht Heimweh.
    Und das Kleine – das hat uns noch näher aneinander geknüpft, Kid. Ich hoffe nur, daß es ein Junge wird! Denk’ daran! – Fleisch von meinem Fleisch, Kid. Er darf nicht hier im Lande bleiben. Und wenn es ein Mädchen wird, wie könnte es! Verkauf meine Felle. Sie werden mindestens viertausend einbringen, und ebensoviel habe ich bei der ›Kompanie‹ zugute.
    Sorg dafür, daß er eine gute Erziehung erhält, und, Kid, vor allem, laß ihn nicht hierher zurückkommen. Dies Land ist nicht für weiße Männer geschaffen.
    Mit mir ist es vorbei, Kid. Drei oder vier Tage höchstens. Ihr sollt weiter. Ihr müßt! Denk daran, daß es meine Frau, daß es mein Junge ist – mein Gott! Ich hoffe, es ist ein Junge! Ihr könnt nicht bei mir bleiben – und ich befehle euch, ich, ein Sterbender, daß ihr weiterzieht.«
    »Laß mir drei Tage«, bat Malemute Kid, »es könnte dir besser gehen; vielleicht geschieht etwas.«
    »Nein.«
    »Nur drei Tage.«
    »Ihr müßt weiter.«
    »Zwei Tage.«
    »Es gilt meine Frau und meinen Jungen, Kid. Du darfst mich nicht bitten.«
    »Einen Tag.«
    »Nein, nein, ich verlange – «
    »Nur einen einzigen Tag. Wir könnten an den Rationen sparen, und vielleicht schieße ich einen Elch.«
    »Nein – nun, schön; einen Tag, aber nicht eine Minute länger. Und, Kid, laß mich nicht allein dabei. Nur einen Schuß, den Finger auf den Drücker. Du verstehst. Denk daran! Denk daran! Fleisch von meinem Fleisch, und ich werde ihn nie sehen!
    Schick mir Ruth her. Ich will ihr Lebewohl sagen und sie bitten, an den Jungen zu denken und nicht zu warten, bis ich tot bin. Sonst weigert sie sich vielleicht, mit dir zu gehen. Leb wohl, Alter. Leb wohl! Kid, grabe nach, wo wir den Hund verscharrt haben, neben der Schlittenbahn, ich habe auf meiner Schaufel Gold gehabt.
    Und, Kid!« Der beugte sich tiefer herab, um die letzten schwachen Worte zu hören, in denen der Sterbende seinen Stolz aufgab. »Es tut mir leid – wegen – du weißt – Carmen.«
    Malemute Kid verließ die Frau, die leise um ihren Mann weinte, zog seine Parka und seine Schneeschuhe an, nahm die Büchse unter den Arm und schritt in den Wald. Es war nicht das erstemal, daß er dem finsteren Grauen des Nordlands gegenüberstand. Aber noch nie hatte es ihn vor eine so schwere Aufgabe gestellt. Bei nüchterner Betrachtung wäre es ein einfaches Rechenexempel gewesen – drei Lebende gegen einen zum Tode Verurteilten. Aber dennoch zögerte er. Fünf Jahre hatten sie Seite an Seite auf Flüssen und Schneeöden, in Lagern und Minen, immer den Tod vor Augen, die Bande ihrer Kameradschaft geknüpft. So fest waren die Bande gewesen, daß er, seit Ruth zu ihnen gekommen war, oft eine unbestimmte Eifersucht bei ihr gespürt hatte. Und jetzt sollte er diese Bande mit eigener Hand zerschneiden.
    Obwohl er betete, daß ein Elch, nur ein einziger Elch kommen möchte, war alles wie ausgestorben, und bei Einbruch der Nacht schleppte sich der ermattete Mann mit leeren Händen und schwerem Herzen zum Lager zurück. Lärm unter den Hunden und gellende Schreie Ruths ließen ihn seine Schritte beschleunigen.
    Als er das Lager erreichte, sah er Ruth mitten unter den knurrenden Hunden stehen und mit einer Axt um sich schlagen. Die Hunde hatten das eiserne Gesetz ihrer Herren übertreten und waren an den Proviant gegangen. Mit erhobenem Kolben sprang er zwischen sie, und der uralte Kampf ums Dasein wurde mit all der Brutalität seiner ursprünglichen Umgebung ausgekämpft. Büchse und Axt fuhren auf und nieder, trafen oder fehlten mit monotoner Regelmäßigkeit. Geschmeidige Körper flogen hoch mit wilden Augen und schäumendem Rachen, Menschen und Tiere stritten wild um die Übermacht. Dann krochen die geschlagenen Bestien ans Feuer, leckten ihre Wunden und heulten ihr Elend den Sternen zu.
    Den ganzen Vorrat an getrocknetem Lachs hatten sie gefressen, und kaum fünf Pfund Mehl waren übrig, um sie zweihundert Meilen weit durch die Wüste

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