Der Sohn (German Edition)
Bilder an den Wänden, die niedrigen marokkanischen Tischchen, die ich mal aus Casablanca mitgebracht hatte, als ich Jacob zu einem Set dorthin begleitet hatte. Das war in ferner, ferner Vergangenheit gewesen, als mich das expansive neue Leben, das plötzlich einfach zu uns gehörte, noch benebelt und begeistert hatte. Nachdem vor fast sechzehn Jahren Jacobs Erfolg eingesetzt hatte, der schon fast ungehörig viel Geld hereinströmen ließ (und es strömte weiter, da Jacobs erster Film, den man inzwischen schon einen »Klassiker« nannte, immer noch viel abwarf), hatten wir uns jeder auf seine Weise einem Leben angepasst, das früher völlig undenkbar für mich gewesen und mir wahrscheinlich gar nicht erstrebenswert erschienen wäre. Wie kann das Unvorstellbare auch erstrebenswert sein? Mochte Reichtum für andere auch durchaus nicht unvorstellbar sein, für mich war er es, und für Jacob ebenso, dachte ich jedenfalls immer. Denn als wir uns kennenlernten – ich studierte noch, wir begegneten uns in einer Kneipe –, war er zwar schon ein erfolgreicher politikbegeisterter Journalist gewesen, aber einer, der es gern schlicht und einfach hatte und dem allem Anschein nach überhaupt nichts an Luxus, Geld und materiellen Gütern lag. Nie kaufte er sich etwas Neues. Nur an Essen und Trinken sparte er nicht, und weil er nicht gerne zeltete, wohnten wir im Urlaub immer in guten Hotels, auch als wir es uns eigentlich noch gar nicht wirklich leisten konnten. Als Journalist verstand er es irgendwie, solche Kosten abzusetzen – damit schien er keine Probleme zu haben.
Ein einfallsreicher kleiner Independentfilm über einen jugendlichen Mörder, der auf einer guten journalistischen Idee Jacobs basierte und mit nichts als starkem Willen produziert wurde, änderte alles. Im Zuge seines Erfolgs mit dem Film schulte Jacob zum Filmproduzenten um. Nach dem »Kleinen Mörder« bekam er ohne nennenswerte Mühe das Geld für einen großen Spielfilm über das Kabarett von Westerbork zusammen, ein Thema, das ihn beschäftigte, seit wir uns kannten. Es wurde ein schöner, wenn auch etwas sentimentaler, kommerzieller Film mit umwerfender Musik. Jacob baute darin Details aus dem Leben meines Vaters ein. Ich musste weinen, als ich das Ergebnis sah, aber nicht nur vor Rührung oder wegen des Themas und dessen Umsetzung. Ich weinte vor Ohnmacht, weil der Film so viel leichter Emotionen auslöste, als es das Chaos und die Unerträglichkeit der Realität je gekonnt hatten. Und dass auch Herman die Fassung verlor, weil er ganz bestimmte Geschehnisse wiedererkannte, trug noch zusätzlich dazu bei, dass bei mir die Tränen flossen. Aber ich durfte mich nicht beschweren, denn diese Geschichte würdigte die tragische Vergangenheit meiner Familie weit mehr als das große Schweigen, das den meisten Toten (aber auch Überlebenden) zuteilwurde.
Jacob ist ein autoritärer Mensch, absolut in seinen Entscheidungen, frei von Zweifeln, wie sie mein Leben bestimmen. Er ist immer stark, aber mit mir zusammen kann er auch jungenhaft und sentimental sein. Seine Kraft kommt am besten zur Entfaltung, wenn er eine leitende Funktion ausübt. Das macht ihn zu einem guten Regisseur, einem Unternehmer mit sicherem Gespür. Weil der Krieg seine Eltern zu seelischen Wracks gemacht hatte, war er, als Einzelkind, schon früh zur Selbständigkeit gezwungen. Sein Vater, der auch schon wieder sechs Jahre tot ist, hat in seinem Leben vieles angefangen, was nach kurzer Blüte wieder einging, seine Mutter, ebenfalls seit Jahren tot, lebte ihr ganzes Leben nach dem Krieg in einer Welt von Wahnvorstellungen und irren Phantastereien weiter. Jacob steckte seinen Eltern hin und wieder etwas zu, wenn sein Vater sich wieder einmal verkalkuliert hatte und das Geld für die nötigsten Einkäufe fehlte. Der Krieg, der das Leben seiner Eltern genauso sehr bestimmte wie das der meinen (seine Mutter wurde auf dem Weg nach Westerbork von ihrer Mutter aus dem Zug geworfen, sein Vater wurde versteckt und von Pflegeeltern aufgezogen), hat Jacob trotzdem immer auf eher abstrakte Weise beschäftigt. Er ist für ihn vor allem eine Quelle von Geschichten. Selbst mit dem Krieg oder der bedauernswerten, tragischen Verrücktheit seiner Eltern, die er nach sich zog, assoziiert zu werden, lehnt er entschieden ab. Er betrachtet den Krieg lieber als ein Phänomen, das mit ihm persönlich nichts zu tun hat.
Deshalb nahm ich es Jacob bei dem Westerbork-Film übel, dass er dem Regisseur erlaubt hatte, sich
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