Der Sohn (German Edition)
großzügig aus meiner Familiengeschichte zu bedienen. Daran entzündete sich (unterschwellig) so mancher bittere Streit zwischen uns. Und wir begannen uns voneinander zu entfernen, als Jacob seinen Erfolg plötzlich als etwas betrachtete, was ihm zustand und was sich ganz selbstverständlich fortsetzen würde. Auf Kritik meinerseits hatte er von jeher allenfalls leicht befremdet reagiert – während ich nicht die erforderliche Großmut aufbrachte, ihm seinen Erfolg zu gönnen. Der Film, der fabelhafte Film habe unser Leben aber ganz schön verändert, warf Jacob mir an den Kopf. Dass diese Veränderung auch ein entscheidender Grund für meine Verwirrung war, wusste er zwar nur zu gut, aber er weigerte sich, Verständnis für »diese konservative Ängstlichkeit« aufzubringen. Tolle Dienstagabende war in den Niederlanden zur Ikone geworden, nachdem der Film schon am ersten Wochenende fast einhunderttausend Menschen in die Kinos gezogen hatte. Auch im Ausland blieb er nicht unbemerkt und wurde nach zahllosen Preisen (die belegten, wie sehr ich unrecht hatte) schließlich von der Academy in Hollywood zum besten ausländischen Spielfilm gekürt. Danach gab es kein Halten mehr. Jacob, der sich inzwischen in einem Selbstbewusstsein aalte, das uns beiden früher ziemlich lächerlich erschienen wäre, liebäugelte mit der Übersiedelung nach Los Angeles, gegen die ich mich zunächst sträubte. Aber ein neues Leben kauften wir uns mit dem vielen Geld, das Jacob verdiente, schon, angefangen bei einem Haus, einer riesigen Villa in Overveen, mit langer Auffahrt und solidem Zaun um das gesamte Grundstück. Ich hatte es zwar selbst mit ausgesucht aus den anderen ekelhaft kostspieligen Optionen, aber ich kam mir dort fremd und verloren vor. Noch nie war mir so bewusst geworden, wie sehr andere Lebensumstände die Persönlichkeit verändern können, ob man es will oder nicht. Jetzt verspürte ich doch tatsächlich von Zeit zu Zeit den unstillbaren Hunger, mir neue Sachen zu kaufen. Das war ganz ungewöhnlich für mich, und ich war davon überzeugt, dass ich dadurch immer weniger authentisch sein würde. Ich denke manchmal, dass ich in den Jahren von Jacobs erstem wirklich großen Erfolg die meiste Energie darauf verschwendete, krampfhaft an der Person festzuhalten, die ich vor diesem Erfolg gewesen war. Dieses Neureiche passte nun einmal nicht zu der Welt, aus der ich stammte, der Welt der Akademiker. Und ich gehörte nicht in die Welt von Reichtum und Komfort, fand ich. Erst als mir aufging, dass ich damit alle, in erster Linie aber mich selbst, einschränkte und behinderte, wurde ich endlich etwas lockerer.
Jacob kannte keine solchen Skrupel, ja, der Wohlstand schien ihn schon immer angezogen zu haben. Mit der gleichen Leichtigkeit, mit der er vom engagierten Journalisten zum großen Produzenten mutierte, passte er sich den neuen Freunden an, die ihm sein Erfolg bescherte – das Kräftemessen mit Kollegen war ganz nach seinem Geschmack. Er rauchte jetzt Zigarren, und sein Körper wurde breiter und massiger. Manchmal meinte ich sogar, er sei auch größer geworden. Vielleicht wurde man das ja, wenn man so expansiv dachte wie Jacob. Er blieb attraktiv, charmant und geistreich, doch seine frühere Sanftmut wich einer drängenden Ungeduld. Er hörte mir immer weniger zu, hatte immer weniger Nachsicht mit meinen Zweifeln und meinem mangelnden Wandlungsvermögen, und der Machismo, den er in der neuen Verantwortungsposition unweigerlich entwickelte, ließ mich von ihm abrücken, so aufregend die ersten Jahre des Erfolgs auch für unsere Beziehung sein mochten. Wir zogen dann schließlich doch für fast sechs Jahre in die USA . Tess wurde dort geboren und verbrachte die ersten sechs Lebensjahre dort. Mitch war auch schon in den USA zur Welt gekommen, während eines früheren einjährigen Aufenthalts.
Mittlerweile hatte ich mich an Wohlstand und Komfort gewöhnt. Unser Haus in Overveen bot viel Freiraum, und man konnte dort ungestört arbeiten. Ich schrieb freiberuflich für eine Abendzeitung und hatte ein Buch über einen berüchtigten Kunstbetrug verfasst, das sich ganz gut verkaufte. Da die Hausarbeit in so einem stattlichen Heim viel Zeit in Anspruch nahm und ich dafür viel zu unpraktisch und unordentlich veranlagt bin, kam vier Vormittage die Woche eine Hilfe, eine freundliche Ghanaerin namens Monica Vandijck. Ihr Nachname hatte mich erstaunt, aber Monica erzählte, dass es viele Ghanaer gebe, die Namen früherer
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