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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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Hoffnung, die im Laufe der drei Wochen zusehends schwand.
    Dann klingelte mitten in der Nacht das Telefon.
    Wie immer hatte ich lange gebraucht, bis ich endlich eingeschlafen war. Mit meinen Gedanken bei Mitch, wie er im Second Batalion der Fox Company, wo er jetzt war, von einem Drill Instructor mit Maschinengewehrstimme gepiesackt wurde.
    Und dann dieser erbarmungslose Wecker mitten in der Nacht. »Can you accept a collect call from Marine Corps Camp Pendleton?«
    »O god«, rief ich. »Yes!«
    Nach Luft schnappend nickte ich Jacob heftig zu, obwohl er im Dunkeln unsichtbar war. Ich war zu schnell vom Grund des Schlafes zur Oberfläche aufgestiegen. Taucherkrankheit. Es war ein Uhr, wie ich sah.
    »Ma’am?«
    »JA!«, brüllte ich.
    Ich saß aufrecht im Bett, beinahe hätte ich salutiert. Jacob machte das Licht an. Ich blickte in seine schreckgeweiteten Augen und drückte die Mithörtaste vom Telefon. Lautes Knattern, und dann plötzlich Mitchs Stimme, leiser und entfernter, als ich erwartet hätte, kaum zu verstehen in dem Lärm, der offenbar um ihn herum war. Mir war, als verpasste mir jemand einen Schlag aufs Zwerchfell. Ich kniff Jacob.
    »Mitch!!«
    »Hallo, Mutter!«, verstand ich. Mutter war einer seiner Kosenamen für mich, eine feierliche Variante.
    »Mitch! Erzähl! Wie geht’s?«
    Aber auch er hatte schon angefangen zu reden, im selben Moment. Jetzt hatte keiner von uns gehört, was der andere gesagt hatte. Ich biss mir auf die Zunge. Warum er mitten in der Nacht anrief, war mir ein Rätsel. Schliefen sie denn dort überhaupt nicht?
    »Es geht.«
    Es blieb kurz still, ich hörte ihn schlucken, als müsse er sich zusammenreißen. Ich schluckte ebenfalls.
    »Mitch!«, rief Jacob. »Halt durch, Junge!«
    »Ich kann nicht lange reden. Es ist unheimlich schwer, ich kann fast nicht mehr. Das ist so… Sie sind verrückt!«
    »Mitch!«, rief ich.
    Wieder Geschrei, dann ein Klicken. Die Verbindung war unterbrochen. Das ganze Gespräch hatte keine halbe Minute gedauert, und ich war außer mir über diese Ungerechtigkeit. Mein Herz schlug so heftig, als hätte ich gerade einen Langstreckenlauf hinter mir. Ich ließ mich zurückfallen, steif wie ein Brett.
    »Er sagt, sie sind verrückt. Vielleicht gibt er auf.« Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme hoffnungsvoll klang.
    »Ach, Saar«, sagte Jacob nur.
    Ich wusste nicht, ob das Verärgerung ausdrückte oder zärtlich gemeint war.
    Es blieb bei diesem einen Anruf von Mitch in den ganzen dreizehn Wochen des elenden Boot Camp. Er gab nicht auf.
    59
     
    Monica hatte alle Sessel und Stühle verrückt, um den Fußboden zu schrubben. Das ganze Haus roch nach Pine-Sol, Monica schwor darauf. Mir war das Mittel eigentlich zu scharf und der Duft zu ordinär, aber ich traute mich nicht, etwas zu sagen. Weil ich kein Talent für die Vorgesetztenrolle habe, wie Jacob meint. Er natürlich schon.
    Es ist doch verblüffend, dass Menschen aufgrund des Selbstvertrauens, das ein plötzlicher, ungeahnter Erfolg ihnen beschert, mit einem Mal auch mühelos Respekt auf allen anderen Ebenen ihres Lebens einzufordern verstehen. Es muss etwas mit dem Ton, in dem sie reden, ihrer Kopfhaltung zu tun haben.
    Mit Jacob war nicht zu spaßen, in Jacob schnurrte ein kleiner Motor, der ein Selbstbewusstsein generierte, vor dem andere wie von selbst Respekt hatten. Und nicht nur in Jacob, sondern in allen mächtigen, großspurigen Menschen, mit denen er neuerdings verkehrte, schnurrte und brummte es nur so. Die Kehrseite einer derart gesteigerten Eigenliebe ist Ungeduld mit den weniger Sicheren, den Machtlosen, den Zauderern. Trotzdem ordnen sich Menschen meistens lieber Leuten mit Jacobs Talent zum Vorgesetzten unter als solchen wie mir, die ohne dieses Talent auskommen müssen, wie ich festgestellt hatte. Mir war es wichtig, dass Monica, die ich jetzt seit sieben Jahren kannte, mich mochte. Dafür nahm ich in Kauf, dass mein Haus nach einer Mischung aus Lysol und Tannenduft roch. Ich bemühte mich auch seit langem mittels einer befreundeten Juristin um eine Aufenthaltsgenehmigung für Monica, der bei jedem Uniformierten, dem sie begegnete, fast das Herz stehenblieb, wie sie mir erzählte. Ich zwang mich dann, an meinen Vater zu denken, der als illegaler Flüchtling in diesem Land ebenfalls Verständnis und Anerkennung hatte suchen müssen. Ich wollte, dass Monica mir vertraute, und dieses Vertrauen wollte ich nicht enttäuschen, deshalb hörte ich ihr auch zu, wenn ich eigentlich gar

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