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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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keine Zeit hatte und die Kiefer anspannen musste, um nicht zu gähnen oder vor Ungeduld zu schreien bei Monicas schleppendem, schwer zu verstehendem Niederländisch und den noch schwerer zu überblickenden Problemen, mit denen sie kämpfte. Monica wohnte mit ihrem neunzehnjährigen Sohn David irgendwo in Hoofddorp. Ich konnte nur schwer ausblenden, dass es zwischen uns gewaltige Unterschiede im Lebensstandard gab, und ihr kolonialer Hintergrund machte es nicht besser. Insgeheim schämte ich mich zu Tode, dass ich mein Haus nicht selbst sauber hielt. Meine Beziehung zu Monica litt unter diesem Unbehagen, aber das ließen wir uns beide bei unseren gegenseitigen Herzlichkeiten nicht anmerken.
    »Ich staubsaugen in Mitchs Zimmer. Sehr schmutzig und viele Unordnung – ich räumen auf«, meinte ich zu verstehen.
    Nachdem es mir erst mal die Sprache verschlagen hatte, entgegnete ich: »Davon hatte ich nichts gesagt.« Ich sah Monica mit gequältem, entschuldigendem Blick an und hoffte, sie würde einsehen, dass sie nicht ohne meine Einwilligung in Mitchs Zimmer hätte gehen dürfen.
    Ihr Blick kehrte sich nach innen, doch von Bedauern oder Erschrecken war nichts zu erkennen. Schuldgefühle schienen ihr fremd zu sein, vielleicht gehörten sie nicht zu ihrer Kultur.
    »Frau Sara, ich denken, schmutzig, viele Staub, viele Spinnweb. Ich lange, lange nicht gewesen dort…«
    »Was? Nein. Ja. Natürlich. Aber du musst mich so etwas vorher fragen, bitte. Das war keine gute Idee«, sagte ich mit abgewandtem Gesicht.
    Wie um sie für meine Verärgerung zu trösten, strich ich ihr kurz über den Arm. Dabei hätte ich am liebsten geheult und mit den Füßen gestampft. Aber ich wollte Monica nicht kränken.
    60
     
    Ich ging gleich nach oben. Ohne etwas zu sehen, wanderten meine Augen dabei über die Wand neben der Treppe, wo Fotos von den Stars hingen, mit denen Jacob sich im Jahr der legendären Oscarverleihung in Hollywood hatte fotografieren lassen. Die kleine goldene Statuette, die Jacobs Triumph dokumentierte, stand mitten in der Diele auf einem Podest.
    Mitchs Zimmer war jetzt so radikal sauber und ordentlich, als würde er nie mehr wiederkommen, musste ich mit Schaudern feststellen. Im Regal über seinem Bett prunkten zwei Fußballtrophäen, die Monica offenbar irgendwo hervorgefischt hatte, ein alter Stoffelefant aus längst vergangenen Zeiten und sechs Dinky Toys. Alles in allem eine armselige Hinterlassenschaft. Das breite Bett war gemacht, die dünne blaue Tagesdecke straff darübergespannt. Ich sah Mitch als Zehnjährigen unter dieser blauen Decke liegen, die Arme nach mir ausgestreckt, komm her, Mami. Auch wenn wir kurz vorher noch furchtbaren Streit gehabt hatten, wegen schlechter Noten, hirnloser Computerspielerei, mangelndem Einsatz, schlechtem Benehmen, konnte er vor dem Schlafengehen nach mir rufen, schmeichelnd und anhänglich. Er war eigentlich sentimentaler als Tess, auch als er älter war, und damit machte er mich immer schwach. Immer. Auch später noch setzte ich mich vor dem Einschlafen kurz zu ihm. »Herkommen, setzen und reden«, sagte er dann.
    Auf einem der Regalbretter über dem Bett lag auch das Kinderköfferchen (wo hatte Monica das bloß gefunden?), das er damals mitgenommen hatte, als er weglaufen wollte. Vier war er da gewesen. Ich hatte ihm einen Pantoffel an den Kopf geworfen und ihn wüst beschimpft, weil er sich meine teuerste Hautcreme auf Gesicht, Haare und Hände geschmiert hatte. Kurz darauf hatte ich bei einem Blick aus dem Fenster (ich hatte inzwischen Kopfschmerzen von meinem eigenen Geschrei) gesehen, wie er mit seinem Köfferchen die Straße hinunterlief. Als ich das Fenster öffnete und ihn rief, war er stehen geblieben, hatte zu mir hinaufgeschaut mit seinem weiß verschmierten Gesicht und geduldig abgewartet, was ich denn von ihm wollte. Offenbar wusste er plötzlich nicht mehr, was er tun sollte – oder er wusste es nur zu gut. Brav war er stehen geblieben, bis ich nach unten gerannt und bei ihm war.
    »Was hast du vor?«
    »Nichts«, sagte er. Zehnmal, auf meine zehnmalige Frage.
    »Was ist in deinem Koffer?«
    »Nichts.«
    Ich hatte den Koffer aufgemacht. Es war ein Rennwagen darin, den er gerade zu seinem Geburtstag bekommen hatte und der jetzt nach Creme roch. Dann hatte ich ihn nach Hause zurückgeführt – Zwang brauchte ich dabei überhaupt nicht anzuwenden.
    »Ich wollte nach Amerika«, sagte er später. »Da hätte ich dann gewohnt. Mama war so böse auf mich.«
    Das hatte

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