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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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auch Jacob schwachgemacht. Von Amerika hatten wir damals schon oft geredet. Drei Jahre später machten wir Ernst.
    Für Mitch schien das Ganze ein Triumph zu sein, er wirkte danach sehr glücklich.
    »Der vollendete Manipulator«, hatte ich zu Jacob gesagt. »Genau wie du.«
    Ich nahm das Köfferchen vom Regal und schüttelte es kurz. Es war etwas darin. Ich setzte mich aufs Bett, um es zu öffnen. Zutage kam eine Zigarrenschachtel mit einer alten Zigarre darin, eine Plastikmappe, ein Bleistift und Mitchs alte Armbanduhr. Dass diese schöne Uhr, die ich ihm von einer Reise mitgebracht hatte, offenbar von Mitch ausgesondert worden und hiergeblieben war, bestürzte mich. Er hatte alle wirklich wichtigen Dinge mit nach Berkeley genommen.
    Die Plastikmappe war mit schon halb abgerissenen alten Aufklebern von Reisezielen beklebt und enthielt eine Gebrauchsanweisung für einen längst ausrangierten CD -Player. Als ich sie wieder in die Mappe zurückschieben wollte, fiel etwas heraus.
    Es war ein sehr alter Umschlag. Er trug den altertümlichen Stempel: »Post Hooghalen«. Und darunter: »Baracke Nr. 44«.
    Mir wurde schwindlig. Ich brauchte nicht erst hineinzuschauen, um zu wissen, was in diesem Umschlag steckte. Und dann fand ich auch noch einen zweiten, er klebte etwas zwischen der Gebrauchsanweisung fest. Mit trockener Kehle blätterte ich daraufhin die gesamte Gebrauchsanweisung Seite für Seite durch. Aber es blieb bei diesen zwei Umschlägen. In jedem steckte ein handgeschriebener Brief, adressiert an Fietje Leeder, De Genestetlaan 54, Apeldoorn. Unterschrieben waren beide Briefe mit »Deine Zewerle«.
    Es waren die Briefe von meiner Großmutter Zewa Silverstein, geschrieben im Jahre 1942, der eine Ende November, der andere Ende Dezember.
    Ich rief Monica.
    »Sag mal, wo hast du dieses Köfferchen gefunden?«
    »Im Schrank, zwischen alte Spielsach und Kleider«, antwortete Monica ein bisschen verlegen. »Ich denken: Oh, Mitch vergessen Uhr!«
    »Diese Briefe sind für mich viel mehr wert als die Uhr«, sagte ich mit Nachdruck. »Das sind echte Familienbriefe, von vor langer Zeit!«
     Ich legte die Briefe in mein Schmuckkästchen.
    Ich konnte sie nicht lesen, das war das Problem. Zewa hatte zwar eine gestochene Handschrift, aber sie hatte eine alte deutsche Schrift benutzt, die für mich nicht zu entziffern war. Ich würde sie zu jemandem bringen müssen, der sich damit auskannte und mir die Briefe transkribieren konnte.
    61
     
    Nach Mitchs Anruf in San Diego hatte ich noch eine Weile gehofft, dass er aufgeben und man ihn in das so viel sicherere bürgerliche Leben zurückschicken würde, das ich ihm so sehr wünschte. Doch als es die Wochen darauf still blieb, hatte ich einsehen müssen, dass er das Boot Camp wohl doch irgendwie überstehen würde und damit die Möglichkeit immer realer wurde, dass man ihn über kurz oder lang in ein Kriegsgebiet entsenden würde.
    Ich hatte zunehmend das Gefühl, aus Glas zu sein, eine mundgeblasene Vase auf einem wackligen Tisch, ständig in Gefahr zu zerbrechen. Ich meinte dauernd, nach Luft schnappen zu müssen, mein Nacken war schmerzhaft verspannt, und mir wurde jeden Tag von neuem bewusst, dass dies das Leben war, an das ich mich gewöhnen musste. Und dass es vorläufig eher schlimmer als besser werden würde.
    Künftig würde sich mein Leben am Rande der Angst abspielen, für meinen Alltag würde nur ein schmaler Grat vorhanden sein. Es war ein bisschen so, als hätte ich zu hören bekommen, dass ich fortan in einem Wohnwagen leben müsse, wo mein gesamtes Hab und Gut auf einem Quadratmeter Fläche Platz finden musste, einem Wohnwagen zudem, der lebensgefährlich schleuderte.
    Der einzige Vorteil war, dass meine Erfahrungen mit DEM TIER dadurch in den Hintergrund rückten und Zeit darüber hinwegging. Manchmal kam es mir fast so vor, als hätte mir DAS TIER in einem anderen Leben Schmerzen und Angst zugefügt.
    Aber mein Vater fehlte mir sehr.
    62
     
    Jacob und ich gingen einander in dieser Zeit aus dem Weg. Was gab es noch zu sagen? Jeder kannte den Standpunkt des anderen – sie waren mehr oder weniger entgegengesetzt. Wenn ich konsequent wäre, würde ich Jacob verlassen, dachte ich manchmal – er war mein Widersacher, er hatte Mitch nicht daran gehindert, ja vielleicht sogar ermuntert, sich in eine unmittelbare physische Gefahr zu begeben.
    Aber wir wussten auch, dass unsere Gefühle füreinander zutiefst übereinstimmten. Ich konnte mir ein Leben ohne Jacob kaum

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