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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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wacher denn je – verbissen darauf bedacht, seine zarten Pflänzchen zu behüten. Gott, wie ich ihn als Teenager in solchen Momenten gehasst habe!
    Ich greife nach den Autoschlüsseln meiner Mutter und ziehe leise die Haustür hinter mir zu.
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    Ich bin in zehn Minuten dort. Ein etwas langweiliges, biederes Viertel im Süden des Stadtzentrums. Ich bin schon einmal dort gewesen, weil hier auch unser Gärtner wohnt. Es gebe in seiner Straße viele Arbeitslose, hat er immer beklagt. Und stolz hinzugefügt: Ich bin einer der wenigen hier, der Arbeit hat.
    Raaijmakers wohnt eine Straße weiter als der Gärtner. Auch er hat jetzt keine Arbeit mehr. Aber vielleicht denkt er, er braucht jetzt nicht mehr zu arbeiten, mit all dem, was er uns geklaut hat.
    Denke ich. Und muss mir eingestehen, wie vorschnell ich ihn verurteile.
    Woher will ich denn so genau wissen, dass Raaijmakers etwas mit dem Überfall zu tun hat? Ja, David hat mal für ihn gearbeitet. Und sie gehen offenbar in dasselbe Fitnesscenter. Aber ist das ein Beweis dafür, dass sie gemeinsam einen Raubüberfall auf uns begangen haben?
    Es waren zwei Männer in unserem Haus. Beide maskiert. Der eine war ein Farbiger, das habe ich gesehen, das muss David Vandijck gewesen sein. Der andere war grob und kräftig, aber es war nicht Raaijmakers. Den hätte ich sofort wiedererkannt, an seinem Geruch, seinem Gang, seiner Statur – maskiert oder nicht, wie ich es schon zu Jacob sagte. Aber wer war dann der Mann in unserem Schlafzimmer? Und woher will ich wissen, dass Raaijmakers dahintersteckt?
    Ich werde mit einem Mal sehr nervös, womöglich jage ich einem Phantom nach. Womöglich hat der Mann, der mich fast vergewaltigt hätte und vielleicht ein Hühnchen mit meinem Vater zu rupfen hatte, gar nichts mit dem Überfall auf meine Familie und mit dem Sturz meines Vaters, der schließlich zu seinem Tod führte, zu tun. Das kann alles Zufall sein. Das darf man nicht ausschließen.
    113
     
    Ich gehe zwar fest davon aus, dass er nicht mehr hier wohnt, aber trotzdem habe ich Angst. Es ist kein Mensch auf der Straße, alles ist still, in keinem Haus brennt mehr Licht. Doch es ist eine helle Nacht. Und vier Häuser weiter steht eine Straßenlaterne. Ich halte vor dem Haus, das sein Haus sein muss – bleibe aber im Auto.
    Die Vorhänge sind zugezogen. Die Klappe des Briefkastenschlitzes steht hoch, weil offenbar Post herausquillt. Das braucht nicht zu bedeuten, dass er nicht mehr hier wohnt. Das kann auch bedeuten, dass er heute nicht zu Hause war. Ohne zu wissen, warum ich das tue, mache ich die Scheinwerfer aus, stelle den Motor ab und steige aus.
    Wie selbstverständlich gehe ich zum Briefkasten, ziehe mit einem Griff einen ganzen Packen ungeöffneter Post heraus und gehe zum Wagen zurück.
    Ich starte und fahre langsam weg, als hätte ich überhaupt keinen Grund zur Eile. Erst als ich zur Straße hinaus bin, mache ich die Scheinwerfer an. Soweit ich weiß, ist mir niemand begegnet.
    Zu Hause setzt das Herzklopfen über meine idiotische Aktion ein. Und dann muss ich auch noch feststellen, dass es sich bei der gestohlenen Post fast ausschließlich um Wurfsendungen handelt. So eine Pleite. Keine namentlich adressierten Briefe. Oder doch. Einige Werbeprospekte sind an Raaijmakers adressiert. Darunter auch ein Prospekt von einem Fitnesscenter. »Sport- und Karatecenter Nord – Du bist so stark wie du denkst «.
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    Tess macht seit etwa vier Jahren einmal die Woche Karate in einem Kampfsportcenter in der Stadtmitte. Ich bin als junges Mädchen allzu oft in unschöne Situationen geraten, in denen ich mich aufgrund meiner körperlichen Unterlegenheit schutzlos fühlte und entsprechende Ängste ausstehen musste. Daher wollte ich, dass Tess lernt, auf ihren Körper und damit auch auf sich selbst als Person zu vertrauen, so dass sie das Gefühl entwickelt, gefährlichen Situationen gewachsen zu sein. Ich verband damit auch die Hoffnung, dass sie sich in Gesellschaft von Fremden freier fühlen würde, als ich es gewesen bin, und sich mehr trauen würde. Das ist ein bisschen so, als hätte ich ihr einen Mantel angezogen, weil mir selbst kalt ist. Anfangs wollte sie auch überhaupt nichts davon wissen, aber nach einer Weile begann es ihr Spaß zu machen. Inzwischen hat sie den braunen Gürtel und macht hin und wieder bei Wettkämpfen mit. Ob sie wohl je gegen Mitglieder vom Sport- und Karatecenter Nord gekämpft hat? Ich traue mich nicht recht, sie danach zu fragen, aus Furcht

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