Der Sohn (German Edition)
locken lassen: »In dieser Phase der Ermittlungen weihen wir die Betroffenen lieber nicht in alles ein. Damit nicht womöglich versehentlich wertvolle Informationen nach außen dringen. Sie können darauf vertrauen, dass wir Ihren Fall mit der größten Sorgfalt behandeln.«
Seither hatte ich nichts mehr von Funden oder Entdeckungen gehört. Es sah verdächtig danach aus, dass sich überhaupt nichts mehr tat.
Es war wirklich nicht so, dass ich kein Vertrauen in die Polizeiarbeit hatte, aber ging es nicht schneller und direkter? Ich glaubte die Geschichte, die Geert van Drongen erzählt hatte. Und wenn Ton Raaijmakers tatsächlich seit Jahren auf Rache aus war, sollte man keine Zeit vertun.
Ich musste noch einmal zur Polizei. Ich konnte mich ja wohl schwerlich weiterhin mit meinem Opernglas vor fremden Türen postieren. Dafür gab es Experten. Aber bevor es so weit war, wollte ich selbst noch etwas in Erfahrung bringen, einfach, weil ich es wissen wollte. Das konnte mir keiner verbieten.
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Die Tür vom Sportcenter öffnet sich. Es geht schnell, er läuft aus dem beleuchteten Eingang ins Dunkel der Straße, aber ich erkenne ihn sofort wieder. An seiner Art, sich zu bewegen, seiner Größe, den grauweißen Haaren, dem schiefen Profil. Ich kann ihn fast riechen.
Bis zu der Situation im Wald habe ich nie so unmittelbar Bekanntschaft mit menschlicher Grausamkeit gemacht, denke ich in diesem Moment.
Das Äußerste an Gleichgültigkeit ist die völlige Taub- und Blindheit für Schmerzen, die man einem anderen zufügt. Das ist die schiere Grausamkeit.
Und zu jenem Zeitpunkt der Geschichte, auf jenem Waldweg an jenem Dienstagvormittag, war ich es, deren Glück, Gesundheit und Sicherheit nicht mehr berücksichtigt wurden. Das war die Geschichte von Hiob, und ich war Hiob. Gnadenlos der »Gleichgültigkeit« ebenjenes grausamen Menschen ausgeliefert. Dieses Gefühl der Einsamkeit werde ich nie mehr vergessen.
Ich bin verwöhnt, trotz meiner Erziehung im Schlagschatten einer unfassbaren Vergangenheit. Für mich befand sich alles Schlechte und Unheimliche woanders oder hatte sich in ferner Vergangenheit abgespielt.
Seit jenem Tag lebe ich in Angst und Grauen. Bis auf ein paar ganz schmale Abschnitte, in denen noch ein Rest Sicherheit vorhanden ist, gleicht mein Kopf einem Sperrgebiet, einer Schmerzregion, in die ich mich lieber nicht begebe. Mein neuer Jacob kommt in den sicheren Abschnitten vor, aber nicht mit seinen Verletzungen oder deren Ursache, sondern mit seiner unerschütterlichen Energie und Kraft. Die Liebe, neu entdeckt.
Rache heißt der Abschnitt in meinem Kopf, wo ich mich am wohlsten fühle. Dort ist Leben und dämmert Hoffnung, das Versprechen der Heilung von meiner unbändigen Wut. Denn – ich sage es noch einmal und ohne Stolz – der Gedanke an Vergeltung macht den Schmerz erträglich.
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Weil ich ihm schon so viele Gedanken gewidmet habe, ist mir Ton Raaijmakers fast wie ein Bekannter vorgekommen. Aber jetzt, da ich ihn dort laufen sehe, mit schlurfenden, schweren Schritten, vom Wagen aus, in dem ich mich nun trotz der Plastikfolie wie im Schaufenster ausgestellt fühle, merke ich, wie wenig das zutrifft. Er ist mir völlig fremd, grauenhaft fremd, fremder als jeder andere fremde Mann.
Ich ducke mich tiefstmöglich in meinen Sitz und warte, bis er seinen Wagen startet.
Einem Auto zu folgen, ist eine Kunst. Ich sorge dafür, dass immer ein Wagen zwischen mir und ihm ist.
Der Teil der Stadt, durch den wir fahren, ist relativ dunkel, nur hier und da von einer Straßenlaterne beleuchtet. Ein Vorortviertel kann abends trügerisch städtisch aussehen, aber man spürt es doch sofort: Hier fehlen die Seele und die Energie der echten Stadt, die ein lebendiges Amalgam aus zielgerichteten Bewegungen und den dazugehörigen Geräuschen ist. Hier befindet man sich unleugbar an den ausgefransten Rändern der Stadt, wo die Viertel planlos, der Not gehorchend, für wenig Geld aus dem Boden gestampft und danach auch noch schlecht instand gehalten werden.
Raaijmakers hält vor einer Reihe hässlicher, baufälliger Häuser, die aus unerfindlichen Gründen unter die Rubrik »Neubau« fallen. Die Straße verläuft parallel zum Außenring, vor jedem Hauseingang wächst ein struppiges Unkrautgärtchen. Die Fenster des Hauses, auf das Raaijmakers zugeht, sind mit Holzbrettern vernagelt. Er hat sich nicht gerade verbessert, unser Ton, denke ich. Ich habe am Eingang der Straße gehalten, gegenüber von einem
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