Der Sohn (German Edition)
und wieder zugemacht worden, und ich habe verpasst, von wem.
Aber das macht nichts. Dieses Auto würde ich aus Tausenden wiedererkennen.
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Einen Wehensturm hatte ich, als Tess sich damals ankündigte. Unaufhörliche Krämpfe, die einander nicht abwarten wollten, sondern unkoordiniert und grausam pulsend darauf aus zu sein schienen, meinen Körper zu zerreißen. Wie bei einer Maschine, die nicht mehr ausgehen will, so sehr man auch auf alle Knöpfe drückt, wie bei einem Auto, das nicht anhalten will, obwohl man auf der Bremse steht (aber es ist das Gaspedal), wie bei überhöhter Stromzufuhr: So rasen jetzt meine Gedanken. Ich habe einen Gedankensturm.
Dynamit – der Gedanke kommt mir plötzlich –, den ganzen Kasten in die Luft sprengen. Ausräuchern, das Sportcenter muss ausgeräuchert werden wie ein Wespennest, eine Schlangengrube. Die Polizei anrufen, wir haben ihn! (Aber keinen Beweis.) Ihm jetzt auflauern, mit einem Beil. Die Türen von außen verbarrikadieren und ein Sondereinsatzkommando anrücken lassen. Das Militär. Ich male mir aus, wie ich hineinschreite, überlegen, eindrucksvoll, und ihm in die Knie schieße, während er um Gnade winselt.
Was macht er hier eigentlich? Trainiert er hier, kennt er die Leute, heckt er hier Einbrüche aus?
Ich will mich beruhigen. Mache Atemübungen. Murmele Befehle in mich hinein. Dass ich aufhören muss. Dass es gut ist, dass er sich offenbar noch so sicher fühlt. Denn umso leichter schnappen wir ihn. Schnappen? Was meine ich damit? Was bedeutet das, was ich denke und sage? Was tue ich hier?
Ich bleibe im Auto sitzen. Am ganzen Körper zitternd, leicht im Kopf, ich habe heute zu wenig gegessen. Er wird herauskommen, früher oder später. Vielleicht fährt er dann ja zu einer anderen Adresse, das würde mir auch was bringen. Informationen, Informationen. Geduld, Saar, Geduld. Endlich ein sinniger Gedanke: Das Kennzeichen notieren! Muss ich dazu aussteigen? Ich traue mich nicht, ich kann das nicht.
Statt aus dem Wagen auszusteigen, setze ich ihn ein Stück zurück. Bis ich vor seinem Auto stehe. Vorhin habe ich ihn eindeutig wiedererkannt, jetzt kommen mir schon wieder Zweifel. Das ändert nichts daran, dass ich dieses Auto am liebsten rammen und zu Schrott fahren würde. Aber ich beherrsche mich – nicht mit dem Wagen meiner Mutter. Mit diesem Wagen ist noch mein Vater gefahren. Er war stolz darauf. Wäre er stolz, wenn ich mir diesen Mann schnappen würde? Er ist sein Quälgeist, vielleicht sogar sein Mörder.
Mache ich mich damit zum Muselmann? Oder ist er einer?
Ich notiere das Kennzeichen. Und fahre an meinen Platz zurück. Klatschnass vor Schweiß bin ich.
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Unser Grundstück sei immer noch mit rot-weißen Plastikbändern abgesperrt, hatten unsere Nachbarn meiner Mutter morgens berichtet. Auch sie waren von der Polizei befragt worden, wie alle anderen in der Straße. Allen hatte das Ermittlerteam einen kurzen oder längeren Besuch abgestattet. Und alle mussten passen: Keiner hatte etwas gesehen oder gehört. Keiner. Es war ja auch kein Alarm losgegangen, es war nicht eingebrochen worden, und unser Haus lag wegen der langen Auffahrt ziemlich weit von der Straße weg, so dass auch der Lieferwagen unbemerkt geblieben war.
Nennenswerte Reifenspuren waren nicht gefunden worden, klar, wir hatten ja Kies bis zur Straße, und sie hatten offenbar so viel Selbstbeherrschung gehabt, dass sie nicht mit quietschenden Reifen weggerast waren, als sie die erreicht hatten. Allerdings hatte der Lieferwagen in den Stunden des Terrors (anderthalb Stunden war das Gesocks bei uns drinnen gewesen, wie die Polizei rekonstruiert hatte) einen kleinen Ölfleck hinterlassen, aus dem abzulesen war, dass es sich um einen Wagen mit Dieselmotor handelte. Tolle Leistung! Den hatten ja wohl die meisten Lieferwagen.
Am nächsten Tag sollte die Absperrung um unser Haus aufgehoben werden, wie uns Gerard Koornstra versichert hatte. Dann seien die Untersuchungen am Tatort beendet. Außer einer schmutzigen Sturmhaube mit Haaren von David Vandijck habe man nichts Konkretes gefunden, was dem zweiten Einbrecher zugeordnet werden könne. Jetzt müssten die vorhandenen Proben, die als fremd und von außen stammend identifiziert worden seien, im Forensischen Institut analysiert und abgeglichen werden, um, so Koornstra, die perfekte Übereinstimmung zu belegen.
Gerne hätte ich erfahren, ob sie schon irgendwelche Vermutungen hatten, aber Koornstra hatte sich nicht aus der Reserve
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