Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
da. War das gerade echt? Konnte das wahr sein? Sie überlegt, ob sie es noch einmal probieren und deutlicher werden soll. Es kann doch nicht sein, dass ein Kind bestimmt, mit wem sie reden darf oder nicht. Doch dafür fehlt ihr jetzt der Mut. Sich noch einmal diesen unverschämten Ton anzuhören hält sie jetzt nicht aus.
Aber jede Wette, es war Jessica. Die Kleine, Florence, würde so etwas nicht wagen. Dieser durchtriebenen Jessica hingegen traut sie alles zu.
Doch noch ist nicht aller Tage Abend, denkt Monica auf dem Weg ins Wohnzimmer. Wenn das Fräulein glaubt, es kommt damit durch, dann hat es sich geschnitten. Vor allem soll Peter davon erfahren. Aber was wird Peter dagegen unternehmen? Sie weiß es schon jetzt: gar nichts. Er wird seufzen, er wird in seinem Overall resigniert die Arme heben, er wird sagen, wie hart es auch für die Kinder ist, und dass Jessica damit nur ausdrücken will, wie unzufrieden sie mit der Situation ist, so etwas in der Art. Und vor allem, dass sie sich jetzt nicht künstlich aufregen soll, es werde noch alles gut.
Sie hält sich an dem Sessel fest, der Roberts Sessel war, ausschließlich Roberts Sessel. Angenommen sie oder Michael Francis oder Aoife hätten sich so etwas geleistet, der Ärger wäre so sicher gewesen wie das Amen in der Kirche. Eins auf den Hintern, ohne Abendessen ins Bett und eine Standpauke von ihrem Vater wäre das Mindeste gewesen.
Nicht dass sie oft so bestraft worden wäre. Sie war ja die Gute, die Brave, die, die sich kümmerte, eigentlich bis heute. Aber sie weiß, dass Aoife und Michael Francis ab und zu dieses Programm zu spüren bekamen: eins auf den Hintern, ohne Abendessen nach oben, Standpauke. Sie erinnert sich sogar noch an den schweren Schritt ihres Vaters auf der teppichbespannten Treppe – es ist Abend, und er trägt noch seine guten Bankschuhe. Sie erinnert sich daran, obwohl nicht sie es war, die mit leerem Magen im Bett lag und dem Unvermeidlichen ins Auge sehen musste. Aber es ängstigt sie bis heute.
Monica geht von Roberts Sessel zu seinem Rollschreibtisch, streicht mit dem Finger über den geschlossenen Deckel und stützt sich seitlich mit der Hand auf. Sie versichert sich, dass niemand zuguckt, und versucht, ihn zu öffnen. Zieht sogar daran. Nichts. Der Schreibtisch ist abgeschlossen.
Monica hält das nicht zurück. Sie geht zum Erkerfenster, steigt auf den Tapisserie-Stuhl – ihre Arbeit – und tastet hinter die Vorhangschabracke.
Sie war zwölf oder dreizehn, als sie ihren Vater einmal dabei beobachtet hat. Es muss um Weihnachten gewesen sein, denn ihr Vater musste sich über den Weihnachtsbaum lehnen, um daranzukommen, und bemerkte sie erst, als er vom Stuhl hinabstieg. Sie erschrak, wie er sie so ansah, den Schlüssel in der Hand. Natürlich wusste sie sofort, wofür er war, denn Vaters Schreibtisch faszinierte ja alle, dieser hölzerne Schrein in der Ecke mit dem Messingschloss und den zahlreichen kleinen Schubfächern. Jeden Sonntagnachmittag setzte er sich an seinen Schreibtisch wie in ein Cockpit, öffnete Briefumschläge, schrieb Sachen mit seinem Füllfederhalter. Ihre Angst war übrigens unbegründet. Nach kurzer Verwirrung lächelte er, tippte mit dem Finger gegen die Nase und sagte: »Aber das bleibt unser kleines Geheimnis, abgemacht?«
»Abgemacht.« Oft, wenn er sich an den Schreibtisch setzte, stellte sie sich daneben, um zuzusehen, wie er die Lade aufmachte. Sie faszinierte, wie die schmalen Latten sozusagen im Nichts verschwanden, wie eine Welle, deren Ausläufer im Sand versickerten. Mehr als alles in der Welt liebte sie die vielen Fächer, Ablagen und Minischubladen, in denen man alle möglichen Dinge wie Zettel, Tintenfässer, Haken, Ösen und Büroklammern deponieren konnte. Auch Fotos wurden dort aufbewahrt, wie sie wusste. Fotos von Mammy als junge Frau, mit dunklen Haaren und schlanken Hüften, die Hände in Handschuhen. Bilder von Leuten, die sie nicht kannte und die steif in irgendwelchen Gärten posierten.
»Kann ich deinen Federhalter auffüllen, Daddy?«, fragte sie oft.
Dann sah ihr Vater von seinen Papieren hoch und sagte: »Aber natürlich kannst du.«
Er holte das Fläschchen mit der blauschwarzen Tinte hervor. Quink stand oben auf dem Deckel. Quink stand in Kursivschrift auf dem Etikett. Monica wusste schon, wie man den Schaft aufdrehte und wie weit man den Füller in die Tinte tauchte, nämlich nur mit der Spitze. Dann musste man auf die Metallspange drücken, bis es vorn aufhörte zu
Weitere Kostenlose Bücher