Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
blubbern. Dann loslassen, und wenn man alles richtig gemacht hatte, schlürfte die Federspitze nun frische Tinte, was sich putzig anhörte. Oben machte Michael Francis Radau, in der Küche schrie Aoife: »Neiäääään, ich will das selber machen!« Aber sie, sie allein, durfte den Federhalter ihres Vaters neu füllen. Am Schluss nur noch mit einem Taschentuch die Spitze abwischen und die Kappe zudrehen. Es gab nichts, das richtiger und befriedigender war, als ihm dann den Füller zu reichen und zu sagen: »Daddy, da ist dein Füller wieder.« Und zur Belohnung legte er ihr die Hand auf die Schulter und sagte: »Perfekt, mein Schatz.«
Monicas Finger treffen auf etwas hartes Kaltes, schon im nächsten Moment holt sie den Schlüssel von der Schabracke – und mit ihm eine Ladung Staub, der auf sie niedergeht, als sie vom Stuhl steigt. Sie klopft sich ihr Kleid ab und verwünscht die schlampige Hausarbeit ihrer Mutter. Geputzt sieht anders aus.
Erneut überzeugt sie sich, dass sie ungestört ist, und steckt den Schlüssel ins Schloss. Ein schlechtes Gewissen kennt sie in diesem Fall nicht, es ist ihr gutes Recht nachzusehen. Die einzige Möglichkeit.
Denn ihr Vater ist verschwunden, das kann sie immer noch nicht akzeptieren. Er ist gegangen, ohne einen einzigen Gedanken an sie zu verschwenden, die sich jetzt um alles kümmern muss. Die eine hysterische Gretta beruhigen und den ganzen Laden zusammenhalten muss. Er musste wissen, was er ihr an Kummer hinterlässt, doch hat es ihn gekümmert? Nein, hatte es nicht. Er ist gegangen, ohne sich auch nur umzudrehen. Wie konnte er eigentlich annehmen, dass sie seinetwegen alles stehen und liegen lässt und sich um seinen Mist kümmert. Egoistischer ging es kaum, die anderen zählten nicht.
Mit einem Ruck schiebt Monica den Deckel nach oben. Rasselnd verschwindet er in sich selbst. Sie streicht mit der Hand über das geprägte Leder der Schreibplatte, rückt das Tintenfass gerade und auch den Füllhalter.
Sie hat immer gewusst, dass sie sein Liebling ist. Das hat nichts mit Arroganz zu tun, es ist eine Tatsache. Laut will das aber niemand sagen, denn so läuft das bei den Riordans nicht. Es ist trotzdem so, und alle wissen es. Ist es ihre Schuld, wenn sie mehr geliebt wurde als die anderen, wenn ihre Anwesenheit willkommener war, wenn sich ihr Lebensweg mit dem ihrer Eltern besser vertrug? Sie hat nicht darum gebuhlt, nicht darum gebeten, sie hatte nicht den geringsten Einfluss darauf. Bildung und gute Noten waren für ihre Eltern zwar wichtig, und trotzdem verfolgten sie ihren, Monicas, Lebensweg mit mehr Wohlwollen als den von Michael Francis. Egal ob sie heiratete und um die Ecke eine eigene Wohnung bezog, es machte ihre Eltern immer glücklicher als ähnliche Entscheidungen ihrer Geschwister. Es bestätigte, was sie waren und sein wollten, wenn ihre schönste Tochter ganz in Weiß heiratete – und dann noch einen Jungen aus derselben Gegend und aus guter irischer Familie. Nicht einmal die Scheidung, die zugegebenermaßen ein stärkeres Erdbeben auslöste, konnte daran etwas ändern, dass sie der Liebling war und blieb. Im Gegenteil, sie klammerten sich sogar noch stärker an sie. Mochte Michael Francis auch seinen Doktor machen, es reichte nie an das heran, wofür Monica stand. Aoife dagegen war von Anfang an die missratene Tochter und trat in diesem Beliebtheitswettbewerb gar nicht erst an, der letzte Platz war ihr auch so sicher. Aber wie stand es um Michael Francis, den ewigen Zweiten? Monica hatte sich das oft gefragt. Wollte er deswegen immer Klassenprimus sein? Nur um am Ende ebenfalls alles zu versauen und in ein kleines Apartment zwei Straßen weiter zu ziehen.
Monica streicht sich die Haare glatt, korrigiert den Sitz der Haarspange im Nacken und macht sich an die Durchsuchung des Schreibtisches. Sie will mit den kleinen Fächern beginnen, systematisch, von links nach rechts. Sie ist sicher, sie findet etwas, irgendeinen Anhaltspunkt, den die anderen übersehen haben. Sie kennt ihren Vater auch besser als alle anderen. Sie weiß zum Beispiel, dass jemand, der sein Leben lang in einer Bank gearbeitet hatte, nicht nur jede Kontobewegung irgendwo einträgt, sondern auch jede andere Bewegung. Er muss, und wenn auch ungewollt, irgendeine Papierspur hinterlassen haben.
Aoife sitzt im Schneidersitz auf dem Bett, aufgeschlagen vor ihr liegt American Photography. Sie blättert mal vor, mal zurück, bläst zwischendurch Zigarettenrauch aus dem Fenster. Beim Betreten
Weitere Kostenlose Bücher